„Social Media macht egoistisch“

Der Neuropsychologe Lutz Jäncke warnt vor den Gefahren von Social Media: Wir werden immer asozialer, oberflächlicher – und verführbarer. Das gefährde unsere Demokratie und unsere Gesundheit.

Ein Zoom-Meeting jagt das nächste. Dazwischen müssen E-Mails beantwortet werden, oft im Minutentakt. Stress pur für unser Gehirn, das für diese Hochgeschwindigkeits-Kommunikation nicht geschaffen ist. Dies diagnostiziert der Neuropsychologe und kognitive Neurowissenschaftler Prof. Dr. rer. nat. Lutz Jäncke, der als Ordinarius am Psychologischen Institut – Neuropsychologie der Universität Zürich tätig ist. „Nicht nur unser Gehirn leidet an der digitalen Technik, sondern auch unser gesamtes Sozialverhalten. Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes von Informationen überflutet, derer wir nicht mehr Herr werden. Dadurch wird unser Mitgefühl, aber auch die Sicht auf uns selbst in Mitleidenschaft gezogen“, diagnostiziert der Autor. Und weiter: „Viele Menschen präsentieren sich auf Instagram oder sonstigen Kanälen verfälscht und unnatürlich. So, als ob sie hinter einer virtuellen Maske im virtuellen Raum agieren würden. GESUND & LEBEN bat den Neuropsychologen zum Interview.

Neuropsychologe Prof. Dr. rer. nat. Lutz Jäncke

 

„Einsamkeit wirkt sich negativ auf die Lebensqualität aus.“

Wie äußert sich die Kommunikationsflut?
Es drängeln sich zu viele Informationen in unseren Bewusstseinskanal, mit denen wir nichts anfangen können. Die Folge von zu vielen Reizen ist zu wenig Disziplin. Wir werden getrieben und können nicht mehr konzentriert arbeiten. Unsere ohnehin schwache Multitasking-Leistung wird dadurch noch schlechter. Durch die große Menge an Informationen verlieren wir die Fähigkeit, das Sinnvolle zu wählen. Wir suchen Inhalte nicht mehr aktiv aus, sondern gehen unwichtigen Dingen nach. Relevantes wird nicht von Irrelevantem getrennt.

Erleichtert uns die digitale Welt nicht auch das Leben?
Durch das Internet verlieren wir die Überlebensfähigkeit in der realen Welt. Wir verlassen uns komplett auf unsere Geräte. Beim Autofahren benutzen wir keine Landkarten mehr, sondern das Navi. Auch Wörterbücher sind Geschichte – wir haben Übersetzungs­programme. Wir übernehmen alles aus der digitalen Welt – und brauchen bald für alles eine App.

 

Tipps: Leitfaden für die digitale Welt

  1. Lassen Sie sich nicht zu intensiv von Reizen im Internet treiben: Wählen Sie aus, was Sie lesen oder sich anschauen wollen. Behalten Sie die Kontrolle über sich. 

  2. Entschleunigen: Nehmen Sie sich Zeit, um das zu lesen, anzuschauen oder zu hören, was Sie erfahren wollen. Verfallen Sie nicht in oberflächliches und schnelles Konsumieren. Um etwas zu verstehen und im Gedächtnis abzuspeichern, benötigen wir Zeit. 

  3. Schreiben Sie nicht nur mit der Computertastatur: Nehmen Sie einen Kugelschreiber oder nutzen Sie die Schreibfunktion des Tablets für einen Stift. Was Sie mit einem Stift schreiben, wird intensiver verarbeitet und bleibt länger im Gedächtnis. 


Text: Karin Lehner | Fotos: HOGREFE, ISTOCKPHOTO: NORTONRSX, SCYTHER5
Mehr zum Interview mit Lutz Jäncke und weitere Tipps erfahren Sie in GESUND & LEBEN 12/21.

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