Ausgeklügeltes Abwehrsystem

Unser Immunsystem wehrt mit einer ganzen Kampftruppe an Immunzellen, Botenstoffen und Proteinen fremde Eindringlinge wie Bakterien, Viren oder Pilze ab. Wie das ausgeklügelte System funktioniert, wo es im Körper sitzt und wie wir es auch mit Impfungen stärken können, erläutert Immunologe Univ.-Prof. Dr. Winfried F. Pickl im Gespräch mit GESUND & LEBEN.

Die Armee eines Landes lässt sich in viele Zahlen fassen – etwa, wie  viele Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind, über welche Waffen das Heer verfügt und welche Strategien es anwendet. Mit unserer körpereigenen Abwehr – dem Immunsystem – ist es ähnlich: „Unser Immunsystem ist in unserem ganzen Körper verteilt: in den primären Immunorganen – dem Knochenmark und der Thymusdrüse – und in den sekundären Immunorganen, dazu zählen die im ganzen Körper verteilten Lymphknoten und das Lymphgewebe sowie die Milz. Zusätzlich befinden sich ganz viele Immunzellen auch in den Geweben unseres Körpers, entweder als Wächterzellen oder aber als gewebespezifische Gedächtniszellen. Das gesamte Immunsystem ist fast so groß wie unser zentrales Nervensystem und wiegt in etwa ein Kilogramm“, bringt es Univ.-Prof. Dr. Winfried F. Pickl, der die Abteilung für Zelluläre Immunologie und Immunhämatologie am Institut für Immunologie an der Medizinischen Universität Wien leitet, auf den Punkt. Das erklärte Ziel dieses komplexen Netzwerkes: Fremde und potentiell gefährliche Eindringlinge wie Bakterien, Viren, Pilze und andere Parasiten zu erkennen und den Körper gegen diese Krankheitserreger zu verteidigen – und im Rahmen der erfolgreichen Abwehr ein immunologisches Gedächtnis aufzubauen, um für künftige „Begegnungen“ gerüstet zu sein. Gleichzeitig überwacht unsere Immunabwehr auch zahlreiche körpereigene Vorgänge und schaltet zum Beispiel maligne entartete Zellen (Krebszellen) aus.

Univ.-Prof. Dr. Winfried F. Pickl, Leiter der Abteilung für Zelluläre Immunologie und Immunhämatologie am Institut für Immunologie, Medizinische Universität Wien

 

„Das gesamte Immunsystem ist fast so groß wie unser zentrales Nervensystem und wiegt in etwa ein Kilogramm.“

 

„Impfungen sind der beste Immunschutz!“

Im Gespräch mit GESUND & LEBEN erläutert Univ.-Prof. Dr. Winfried F. Pickl unter anderem, warum Impfungen besser sind als die natürliche Infektion und wie Eltern schon vor der Geburt das Immunsystem ihres Kindes stärken können.

Warum sind Impfungen so wichtig? 

Sie sind deshalb so wichtig, weil ernste Infektionen schwerwiegende Folgen haben können. Bei der Impfung wird eine abgeschwächte Version des Erregers oder nur ein bestimmtes Antigen selbst verabreicht. Macht man eine Infektion wie beispielsweise Masern auf natürlichem Weg durch, besteht die Gefahr für schwere Durchfälle, Mittelohr- und Lungenentzündungen sowie eine Gehirnhautentzündung zu bekommen. Mumps kann hingegen zu Meningitis, Enzephalitis sowie Bauchspeicheldrüsenentzündung und bei Männern zur Unfruchtbarkeit führen, Röteln stellt bei schwangeren Frauen ein großes Risiko für das ungeborene Kind dar. Beim Durchmachen natürlicher Infektionen besteht zudem die Gefahr, dass sich Viren Orte im Körper suchen und dann für immer in den Körperzellen sitzen bleiben. Wie das ebenfalls zu Folgeerkrankungen führen kann, ist Gegenstand der Forschung.

Was weiß man dazu bereits? 

Es wird vermutet, dass Epstein Barr – ein Virus, mit dem 80 Prozent von uns infiziert sind – bei entsprechender Veranlagung etwa die Entwicklung von Multipler Sklerose fördert. Zudem gibt es die Hypothese, dass Typ-1-Diabetes mit dem Vorhandensein von Coxsacki-Viren zusammenhängt. Bei vielen Autoimmunerkrankungen wissen wir nicht, warum das Immunsystem den eigenen Körper angreift, aber latente (Virus-)Infektionen sind eine denkmögliche Ursache.

Ein anderes viel diskutiertes Thema im  Zusammenhang mit dem Immunsystem ist der falsche Einsatz von Antibiotika. 

Die Erfindung von Antibiotika ist ein Meilenstein der Medizingeschichte und ihr Einsatz in vielen Fällen Gold wert. Wichtig ist, sie leitlinien­gerecht einzusetzen - das heißt, das richtige Antibiotikum in der richtigen Dosierung und über den richtigen Zeitraum zu verschreiben. Für Patientinnen und Patienten gilt: Das Antibiotikum bitte immer bis zu Ende nehmen, um die Bildung von Resistenzen zu vermeiden!

Warum wird das Immunsystem schwächer? 

Ein Grund ist, dass die Thymusdrüse, die die T-Lymphozyten hervorbringt, schrumpft und im Alter kaum mehr vorhanden ist. Ein weiterer hängt vermutlich von den vorhandenen Nischen im Knochenmark und in der Milz ab. Plasmazellen und T-Lymphozyten brauchen diese, um entsprechend ernährt und stimuliert zu werden, damit sie am Leben bleiben. Man kann sich das wie bei einem Wasserglas vorstellen: Wenn ein Glas voll – also das Knochenmark mit Gedächtniszellen ausgefüllt ist – gibt es keine freien Nischen mehr. Das trifft im Alter zu.

Was steht noch im Fokus der Forschung? 

Letztendlich geht es bei der Immunantwort der B- und T-Zellen immer um eines: Habe ich ein Repertoire an Zellen, die genau auf ein Antigen passen und werden neue Repertoires in ausreichender Menge hergestellt? Sollte das nicht der Fall sein, ist ein vielversprechender Weg die sogenannte CAR-T-Zell-Therapie, bei der die patienten-eigenen T-Zellen entnommen, mit einem künstlichen Rezeptor ausgestattet und zurücktransfundiert werden. Diese Therapie wirkt gut bei bestimmten Krebsarten, ist aber noch sehr teuer. Wir identifizieren mehr und mehr Tumor-Antigene und dieser Bereich wird in Zukunft eine noch größere Rolle spielen. Eine weitere Frage beschäftigt sich damit, ob eine ähnliche Vorgangsweise auch bei B-Zellen möglich ist. Bereits erfolgreich ist der passive Transfer von bestimmten Antikörpern. Diese können Tumorerkrankungen heilen, Allergien bekämpfen und Entzündungsfaktoren im Körper abfangen. Ein weiterer Meilenstein ist die Allergie-Impfung mit rekombinant hergestellten Allergen-Fragmenten zur Ausbildung von sogenannten „blockierenden Antikörpern“.


Text: Claudia Sebunk | Fotos: iStock_ wildpixel; MedUni Wien_Felicitas MATERN
Mehr Themen für Ihre Gesundheit erfahren Sie in GESUND & LEBEN.

 

hier NEWSLETTER bestellen

〰️

hier NEWSLETTER bestellen 〰️

Zurück
Zurück

Zurück zum Ursprung

Weiter
Weiter

Schmoren Sie schon?