Als die Dummheit die Forschung erschlug
In kaum einem Land ist die Wissenschaftsfeindlichkeit so ausgeprägt wie in Österreich. Wissenschaftshistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer über das Spannungsfeld zwischen ungebrochenem Pioniergeist und hartnäckiger Ignoranz.
Selbst große Namen ernteten eisigen Gegenwind. Und dennoch wurde Chirurg und Geburtshelfer Ignaz Semmelweis zum „Retter der Mütter“. Carl Djerassi zum Vater der Anti-Baby-Pille. Und Sigmund Freud, C. G. Jung, Viktor Frankl sowie Erwin Ringel zu Weltstars der Psychoanalyse beziehungsweise Psychiatrie. „Die Erfolgsgeschichte der österreichischen Medizin ist eine schwierige“, lautet die Diagnose von Dr. Daniela Angetter-Pfeiffer, 52, Mitarbeiterin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Schwerpunkt Medizin und Naturwissenschaften. Nicht umsonst heißt ihr aktuelles Buch „Als die Dummheit die Forschung erschlug“. GESUND & LEBEN bat die Wissenschaftshistorikerin zum Interview.
GESUND & LEBEN: Haben Sie beim Buchtitel an die Bewältigung der Pandemie in Österreich gedacht?
Angetter-Pfeiffer: Natürlich. Aber auch an andere wissenschaftliche Entwicklungen und Errungenschaften. Es war nie leicht in Österreich.
Warum ist die Impfskepsis hier derart ausgeprägt?
Das ist aus der Geschichte erklärbar. Es geht um viel Unwissenheit und Angst vor etwas Neuem. Im 19. Jahrhundert haben sich die Fans des Naturheilverfahrens formiert. Sie wollten nicht, dass ihnen eine Substanz in den Körper eingeimpft wird. Sogar bekannte Persönlichkeiten wie der Philosoph Immanuel Kant schürten Impfskepsis. Motto: „Menschen, die eine Kuhpockenimpfung durchführen lassen, wachsen Euter oder Hörner.“ Es gab sogar Karikaturen davon. Die andere Seite setzte hingegen Pfarrer und Hebammen zur Information über die und Bewerbung der Impfung ein. In der Habsburgermonarchie wurden alle Frauen, die gerade entbunden haben, mit einem Schriftstück in allen Sprachen des Reiches aufgeklärt: Über die Vorteile des Impfens. Auch damals gab es Impfschäden und Menschen, die trotz der Vakzine an Pocken erkrankt sind. Das Verhältnis von Risiko und Nutzen war natürlich ein wesentlich ungünstigeres als heute.
Wir haben wirksame Impfstoffe, die jedoch mitunter stark abgelehnt werden.
Klar, manche Menschen haben durch die Impfung gegen Covid-19 oder andere Erreger eine Schädigung erlitten. Doch die Relation eines potenziellen Schadens und des großen Nutzens ist eine völlig andere als damals. Die Corona-Impfung rettete sehr vielen Menschen das Leben.
BUCHTIPP
Daniela Angetter-Pfeiffer
Als die Dummheit die Forschung erschlug
Amalthea,256 S., 28,– Euro
Text: Karin Lehner | Foto: istock_Maren Jeleff
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