Einmal abtauchen bitte!

Long-Covid, Tinnitus, schlechte Wundheilung oder Depression: Mit einer neuen Sauerstofftherapie, der sogenannten „Hyperbaren Oxygenierung“, werden überraschende Erfolge erzielt. GESUND & LEBEN-Mitarbeiterin Claudia Sebunk hat sich für Sie in die Druckkammer begeben …

Während der ersten Minuten heißt es: Druckausgleich machen und Unterhaltungsprogramm wählen. GESUND & LEBEN-Mitarbeiterin Claudia Sebunk beim Test.

In bequemer Baumwollkleidung und ausgestattet mit einem Kopfhörer sowie einer Sauerstoffmaske besteige ich die futuristisch anmutende Kapsel und fühle mich kurz wie eine Astronautin, die in andere Galaxien abhebt. Genaugenommen müsste man jedoch eher von Abtauchen sprechen, schließlich herrschen in der Druckkammer 1,5 Bar, was den Verhältnissen in fünf Metern Wassertiefe entspricht. Der leicht erhöhte Druck gepaart mit 95-prozentigem medizinischen Sauerstoff, den man während eines „Tauchganges“ 60 bis 90 Minuten lang einatmet, sind die beiden Erfolgskomponenten der Hyperbaren Oxygenierung (HBO), wie Dr. Elisabeth Sattler, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie aus Wien, erläutert: „Durch die Erhöhung des Umgebungsdruckes und das Einatmen hochkonzentrierten Sauerstoffs wird die Sauerstoffaufnahme im Blut messbar gesteigert. Das gesamte Körper-Kapillarsystem profitiert von diesem physikalischen Phänomen, da der Sauerstoff effizienter im Blutplasma, den Organen und der Gehirnflüssigkeit aufgenommen werden kann.“ Der Begriff Oxygenierung, unter dem man die Bindung des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin an die Sauerstoffmoleküle versteht, beschreibt schließlich die positiven Effekte, die die Anwendung im Körper auslöst: „Durch diese erhöhte Sauerstoffversorgung werden unter anderem das Zellwachstum und die Zellregeneration gefördert, das Immunsystem gestärkt, das Wachstum neuer Kapillaren unterstützt und neurologische Funktionen verbessert“, so Sattler.

Dr. Elisabeth Sattler, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, Wien.

 

Das gesamte Körper-Kapillarsystem profitiert vom Einatmen hochkonzentrierten Sauerstoffs  unter Anstieg des Umgebungsdruckes, da der Sauerstoff effizienter im Blutplasma, den Organen und der Gehirnflüssigkeit aufgenommen werden kann.“


Verbesserung von Long-Covid-Beschwerden

Wie effektiv die Therapie, die ihren Ursprung in der Tauchmedizin hat und bisher vor allem bei der Dekompressionskrankheit sowie bei Kohlenmonoxid- und Rauchgasvergiftungen zum Einsatz kam, mittlerweile auch bei aktuellen Krankheitsbildern wirkt, belegen die Ergebnisse eines israelischen Forschungsteams rund um Prof. Dr. Shai Efrati vom Sagol Center for Hyperbaric Medicine in Tel Aviv, das die HBO zur Behandlung von Long-Covid-Patientinnen und -Patienten testete. Die Studie umfasste 73 Betroffene, deren kognitive Symptome wie Konzentrationsschwäche, Erschöpfung, Gehirnnebel und Vergesslichkeit länger als drei Monate nach einer Covid-Erkrankung anhielten. Die Hälfte der Teilnehmenden erhielt über zwei Monate lang eine HBO-Behandlung mit täglichen Sitzungen, die andere Hälfte fungierte als Kontrollgruppe. Wie neben den persönlichen Eindrücken der Probandinnen und Probanden auch kognitive Tests belegten, führte die HBO-Therapie zu einer signifikanten Verbesserung der kognitiven, neurologischen und psychiatrischen Beschwerden, während jene der Kontrollgruppe mit Placebo-Behandlung unverändert blieben. Covid-19 und seine Langzeitfolgen sind auch der Grund, warum sich in Elisabeth Sattlers Praxis seit Ende des Vorjahres – und exklusiv in Wien – eine hochmoderne HBO-Druckkammer befindet. „Ich habe mich gemeinsam mit anderen Ärztinnen und Ärzten ausgetauscht, wie man Betroffenen helfen könnte. Eine Kollegin zog den entscheidenden Vergleich zur Behandlung des Chronic Fatigue Syndroms“, so die Ärztin. Personen mit dieser chronischen Erschöpfungskrankheit, die an vergleichbaren Symptomen leiden, sprachen in der Vergangenheit gut auf Behandlungen in der hyperbaren Sauerstoffkammer an. Ein Effekt, der sich auch bei den Long-Covid-Patientinnen und Patienten in Sattlers Praxis beobachten lässt: „Das ist im Moment die größte Personengruppe, die ich mit HBO behandle. Schon die erste Patientin, eine 71-jährige Dame, die seit ihrer Corona-Infektion an bleierner Müdigkeit litt, zeigte sich nach wenigen Sitzungen begeistert.“

Das Gehirn profitiert

Ein positiver Effekt, den die Therapie im Gehirn auslöst, scheint auf der Verbesserung der Neuroplastizität zu basieren. Darunter versteht man die Fähigkeit unserer Nervenzellen, sich in jedem Alter sowohl anatomisch als auch funktionell zu regenerieren. Dadurch kann unser Gehirn seine Struktur und Organisation kontinuierlich an veränderte Voraussetzungen und neue Anforderungen anpassen – und kurz gesagt immer Neues lernen. „Durch die Steigerung der Neuroplastizität funktionieren auch Stoffwechselprozesse im Gehirn wieder besser. Dank MRT-Aufnahmen wissen wir, dass besonders der Thalamus darauf anspricht – jene Region im Gehirn, die als Tor zum Bewusstsein bezeichnet wird, weil dort die Entscheidung getroffen wird, welche Informationen und Sinneseindrücke wichtig für uns sind und weitergeleitet werden“, erklärt Sattler. „Wir nehmen an, dass die Behandlung aus diesem Grund auch gut als zusätzliche Unterstützung bei Depressionen und Posttraumatischen Belastungsstörungen wirkt.“ So belegen etwa US-amerikanische Studien gute Ergebnisse in der Therapie von Veteranen mit traumatischen Kriegserfahrungen.

Wunden und Narben heilen besser

Hyperbare Oxygenierung erzielt jedoch auch in vielen anderen Bereichen große Erfolge, wie etwa in der Wundheilung. „Hintergrund ist, dass die Therapie die Durchblutung steigert und die Angiogenese, also das Wachstum neuer Blutgefäße, fördert“, so Sattler, die betont, dass besonders gute Effekte beim Diabetischen Fußsyndrom, Gasbrandwunden oder anderen chronischen Wundinfektionen erzielt werden können. „Ich empfehle die Therapie jedoch auch nach Operationen wie etwa orthopädischen Eingriffen, da Narben viel besser und schneller verheilen und sich dadurch die Rekonvaleszenz verkürzt.“ Hörsturz- oder Tinnitus-Patientinnen und -Patienten profitieren vermutlich ebenfalls von der Behandlung, da auch diese Erkrankungen auf Durchblutungsstörungen basieren.


Text: Claudia Sebunk | Fotos: Klaus Ranger, Jessica K. Wanivenhaus, beigestellt
Mehr zum Thema „Einmal abtauchen bitte” erfahren Sie in GESUND & LEBEN 04/23.

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