Essen als Droge?
Sie lieben Fertigpizza, Softdrinks und Chips? Sie kommen von diesen Dickmachern gar nicht los? Zwei Wiener Ärzte erklären, wie uns die Lebensmittelindustrie nach Kalorien süchtig macht. Und zeigen, wie Sie diese Esssucht besiegen können.
Zu Beginn eine sehr persönliche Frage an Sie: Wie geht’s denn mit dem Abnehmen? Halten Sie immer noch an Ihren Neujahrsvorsätzen fest, heuer Ihr Traumgewicht zu erreichen und/oder sich gesünder zu ernähren, oder haben Sie schon spätestens Mitte Jänner wieder zur heißgeliebten Schokolade als fixen Entspannungsmethode im stressigen Berufsalltag gegriffen? Wenn ja, ein kleiner Trost: Sie sind nicht alleine! Studien zufolge will etwa jeder Dritte im neuen Jahr Gewicht reduzieren, doch Ernährungsroutinen sind besonders schwer zu ändern. Viele scheitern dabei und halten sich irgendwann für hoffnungslose Fälle.
UNGEWÖHNLICH, ABER EFFIZIENT
An genau diese „hoffnungslosen Fälle“ – oder viel mehr alle, die sich selbst so bezeichnen – richtet sich das neue Buch der Wiener Ärzte Dr. Shird Schindler und Dr. Iris Zachenhofer. Es trägt den Titel „Abnehmen für hoffnungslose Fälle – Hardcore-Tipps aus der Suchtmedizin.“ Wie bitte?! Was hat Essen und Abnehmen denn mit Sucht zu tun? Sehr viel, wenn es nach Zachenhofer, Neurochirurgin und Psychiaterin, sowie ihrem Kollegen Schindler, leitender Arzt am Sozialmedizinischen Zentrum des Wiener Otto-Wagner-Spitals, geht. Sie adaptierten bewährte Methoden der Suchtmedizin für unser Essverhalten. Herausgekommen sind dabei ungewöhnliche, aber effiziente und wissenschaftlich fundierte Techniken, Gewicht dauerhaft zu verlieren. Was genau dahintersteckt und wie das funktioniert – GESUND & LEBEN hat bei Dr. Zachenhofer nachgefragt.
Wieso nimmt sich eine Suchtmedizinerin dem Thema Essen und Diäten an?
Aufgrund der Studien: Man bot zum Beispiel Ratten Kokain beziehungsweise Heroin an, gleichzeitig aber auch eine berühmte Schokoladekekssorte mit einer weißen cremigen Füllung. Die Tiere bevorzugten die Kekse. Auch Folgestudien bestätigten, dass Ratten stets zu bestimmten Nahrungsmitteln greifen anstatt zu den Drogen – und bekamen sie diese nicht mehr, klapperten sie mit den Zähnen, gingen die Wände hoch, wurden nervös. Somit hat sich gezeigt, dass spezifische Lebensmittel süchtig machen – ein vollkommen neuer Ansatz, der bisher so gut wie nicht berücksichtigt wurde.
Sind Ihnen auch in Ihrer aktiven Arbeit mit Drogensüchtigen Parallelen zum Essverhalten aufgefallen?
Auf jeden Fall. Ein gutes Beispiel betrifft aber eher eine ehemalige Kollegin, die während eines Frankreichaufenthalts panisch und nervös nach industriell hergestellten Lebensmitteln suchte – ein sehr ähnliches Verhalten wie bei Personen, die nach Drogen süchtig sind. Sprich: Unruhe, Unzufriedenheit, Gereiztheit sowie das ständige Kreisen der Gedanken um das Essen.
Essen kann also süchtig machen?
Genau. Und zwar nur nach industriell hergestellten Lebensmitteln. Dieses Suchtverhalten ist etwas, das von der Lebensmittelindustrie bewusst erzeugt und geplant wird.
CHEMISCHES CRAVING:
JE BEARBEITETER LEBENSMITTEL SIND, DESTO EHER MACHEN SIE SÜCHTIG.
Sind also alle übergewichtigen Menschen esssüchtig? Beziehungsweise: Sind wir das nicht alle irgendwie?
Wir haben sehr viel für unser Buch recherchiert. Uns ist niemand begegnet, der gesagt hätte, er öffnet ein Packerl Chips und hat nach einer Handvoll genug. Eigentlich ist so gut wie immer das Gegenteil der Fall: Man kann nicht mehr aufhören. Der Unterschied ist: Manche Personen haben dieses chemische Craving besser unter Kontrolle als andere. Bei übergewichtigen Menschen kommt das Problem dazu, dass sie glauben, sie wären selbst an der Gier nach ungesundem Essen schuld. Sie bezeichnen sich als willen- und disziplinlos. Zu wissen, dass es sich eher um eine Teilschuld handelt, nimmt viel vom seelischen Druck.
Chemisches Craving?
Darunter versteht man eine nicht zu kontrollierende, alles beherrschende Gier nach künstlichen Lebensmitteln. Prinzipiell gilt: Je bearbeiteter Lebensmittel sind, desto eher machen sie süchtig. In der Hitliste US-amerikanischer Studien befinden sich u. a. Milchschokolade, künstliche Eiscreme, Pommes frites, Pizza, Kekse, Chips, Kuchen oder Muffins. Wobei: Bäckt man Kuchen, Muffins oder Ähnliches selbst, müssen diese nicht per se süchtig machen!
Wieso sind wir nur nach ungesundem Essen süchtig und nicht nach gesundem?
Künstliche Produkte werden so angefertigt, dass sie einerseits besonders geschmacksintensiv sind. Zudem weisen sie Geschmackskombinationen auf, die man so in der Natur nicht findet: zum Beispiel fett und süß oder fett und salzig. Künstlich hergestellte Lebensmittel werden außerdem so konzipiert, dass sie möglichst faser- und flüssigkeitsarm sind, weswegen sie nicht sättigen – und wir von vornherein viel davon essen. Der Umkehrschluss: Eine Ernährung auf Basis natürlicher Lebensmittel und Selbstgekochtem macht es viel leichter, das Verlangen nach mehr Essen zu überwinden und diszipliniert zu sein.
Sie schreiben von Veränderungen im Gehirn, die durch künstliche Lebensmittel hervorgerufen wurden ...
Gehärtete Fette beispielsweise, die in industriellen Backwaren enthalten sind, bewirken im Bereich des Hypothalamus, also jenem Bereich des Gehirns, in dem sich u. a. das Sättigungszentrum befindet, chronische Entzündungen. Das Sättigungsgefühl ist nach einiger Zeit also gestört und gereizt. Zudem kommt es durch industriell hergestelltes Essen zu Veränderungen von Nervenzellen und Neurotransmittern, die das Verlangen nach Essen auslösen und verhindern, dass man Einschränkungen aushält. Sie lassen auch freie Radikale entstehen, die zu Kontrollverlust führen. Die positive Nachricht: All diese Veränderungen lassen sich rückgängig machen, wenn man einige Zeit auf diese Art von Nahrung verzichtet.
Schüttet ungesundes Essen aber nicht auch Dopamin, also Glücksgefühle, aus?
Genau, und zwar viel schneller und in größeren Mengen als andere Nahrungsmittel. Das muss einem bewusst sein – und macht die Sache noch schwieriger.
Es gibt auch emotionales Craving …
Genau. Das ist der Versuch, mit Lebensmitteln negative Gefühle zu betäuben, zum Beispiel Nervosität, Wut oder Langeweile. Essen ist im Grunde ein schnelles und leicht zu beschaffendes Beruhigungsmittel.
Das kennen wir alle. Aber ab wann wird es gefährlich?
Wenn diese Dringlichkeit jeden Tag auftritt. Wenn die Kontrolle verloren geht, die „Dosis“ erhöht werden muss oder bestimmte Tätigkeiten mit Essen assoziiert werden. Und wenn man bestimmte Gefühle ohne Essen nicht mehr in den Griff bekommt.
„ICH BIN GEGEN STRIKTE VERBOTE. EINER DER GRÜNDE, WIESO DIÄTEN NICHT FUNKTIONIEREN, IST DAS GEFÜHL, DASS EINEM ETWAS WEGGENOMMEN WIRD.“
Beim Abnehmen ist es auch wichtig, zwischen Hunger und Gusto unterscheiden zu können. Oder ?
Ja! Deswegen befinden sich in unserem Buch Fragebögen, mit denen Betroffene ihren Tag, bestimmte (Gefühls-)Situationen und ihr Craving bewerten können. Nicht, um sich selbst zu quälen oder zu bestrafen, sondern, um daraus zu lernen.
Welche Methoden aus der Suchtmedizin wenden Sie fürs Abnehmen und für eine nachhaltige Ernährungsumstellung noch an?
Der erste wichtige Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass es sich bei künstlichen Lebensmitteln um eine Art Droge handelt – das ist ein großes Umdenken! Sogenannte „Soft Skills“ oder„Hard Skills“ helfen nachweislich, das Craving zu bekämpfen: Yoga, Basteln, heißes Kerzenwachs auf den Oberarm tropfen oder ein Gummiringerl ans Handgelenk schnalzen lassen gehören ebenso dazu, wie laut Musik zu hören, die man nicht ausstehen kann. Solche Maßnahmen sind dafür da, um die innere Anspannung loszuwerden. Lässt bei den „Hard Skills“ der Schmerz nach, ist auch das Craving vorbei. Eine andere Methode ist zum Beispiel die Substitutionstherapie: Man versucht, mit Ersatz-Wirkstoffen Entzugserscheinungen zu vermeiden, aber ohne das gefährliche Hochgefühl. Das Ziel beim Essen soll sein, einen stabilen, wohligen, gesättigten Gefühlszustand zu erreichen, aber mit gesünderen Lebensmitteln. Man muss sich aber bewusst werden: Gesunde Lebensmittel werden niemals so high machen wie Süßigkeiten oder Fertigpizza!
Wie wichtig ist es, andere Aspekte in seinem Leben aufzuwerten, damit das Essen seine große Bedeutung verliert?
Sehr wichtig. Man sollte sich überlegen, wieso man eigentlich abnehmen möchte, ein konkretes Ziel ist ausschlaggebend. Wohin möchte ich und wieso? Diese Überlegungen sind meist sehr ergiebig, da so auch andere Teile im Leben wichtiger werden, abseits vom Essen. Wenn man sich zudem nicht mehr rund um die Uhr mit Essen beschäftigt, kann eine Leere entstehen – und es gilt, diese Leere sinnvoll zu füllen.
Darf man hin und wieder schummeln oder soll man auf Ungesundes komplett verzichten?
Ich bin gegen strikte Verbote. Einer der Gründe, wieso Diäten nicht funktionieren, ist das Gefühl, dass einem etwas weggenommen wird. Es ist natürlich, dass wir uns dagegen wehren. Hier kann helfen, sich eine Liste mit all den gesunden Lebensmitteln zu schreiben, die man gern isst. Generell ist eine Struktur wichtig, zum Beispiel das Erstellen eines Ernährungsplans für die kommende Woche, der auch Tage mit höherer Kalorienzufuhr beinhalten kann. Von sogenannten eingeplanten „Cheat Days“, also Tagen, an denen man unreflektiert alles isst, was man möchte, rate ich ab. Sollten dagegen ungeplante Rückfälle passieren: Kein Drama draus machen und vor allem reflektieren, wieso die Lust auf Schokolade aufgetreten ist und wie ich diese Faktoren zukünftig vermeiden kann. Selbstreflexion ist wichtig.
BUCHTIPPS
Dr. Shird Schindler und Dr. Iris Zachenhofer:
Abnehmen für hoffnungslose Fälle
Hardcore-Tipps aus der Suchtmedizin
edition a
224 Seiten, 22 EUR
Annemarie Wildeisen:
Frühlingsküche
AT Verlag
96 Seiten, 9,95 EUR
Gurken-Radieschen-Salat mit Feta und Joghurt
Zutaten für 4 Portionen / Für den Kleinhaushalt - 2 Personen: Zutaten halbieren 1 Person: Zutaten vierteln
200 g Feta, 1 Salatgurke, 1 Bund Radieschen, 2 Frühlingszwiebeln, ½ Bund glattblättrige Petersilie, ½ Bund Kerbel oder Dill, 2 Becher griechisches Joghurt oder ca. 350 g Rahmjoghurt, 1 Knoblauchzehe, Salz, schwarzer Pfeffer aus der Mühle, ¼ Teelöffel edelsüßer Paprika, 4 Esslöffel Olivenöl
Zubereitung: Den Feta in kleine Würfel schneiden. Die Gurke schälen, der Länge nach halbieren und entkernen. Die Gurkenhälften in feine Scheibchen schneiden. Die Radieschen putzen und in Scheiben, dann in Stifte schneiden. Das schöne Grün der Frühlingszwiebeln in feine Ringe schneiden, das Weiße hacken. Petersilie und Kerbel oder Dill ebenfalls hacken. In einer Schüssel das Joghurt glatt rühren. Die Knoblauchzehe schälen und dazupressen. Joghurt mit Salz, Pfeffer und Paprika würzen. Dann je ¾ der Gurkenscheibchen, Radieschenstifte und des Feta sowie alle Frühlingszwiebeln und Kräuter beifügen und mit der Sauce mischen. Wenn nötig nachwürzen. Den Salat in tiefen Tellern anrichten und mit den restlichen Gurkenscheibchen, Radieschenstiften und dem Feta garnieren. Den Rand entlang mit dem Olivenöl beträufeln. Sofort servieren. Als Beilage passen Baguette oder in der Schale gebratene kleine Erdäpfel.
Schweinsspiesschen Jägerart
Zutaten für 4 Portionen / Für den Kleinhaushalt - 2 Personen: Zutaten halbieren
2 dick geschnittene Schweinssteaks, je ca. 150 g schwer, 12 Lorbeerblätter, evtl. frisch, 1 Zitrone (Schale unbehandelt), 1 Semmel oder ca. 1/3 Baguette, 8 Scheiben Rohschinken, 12 Schweins- oder Kalbscipollatas (Cocktailwürstel), 6–8 Zweige Thymian, 4 Esslöffel Olivenöl, schwarzer Pfeffer aus der Mühle, Olivenöl zum Braten, Salz
Zubereitung: Die Schweinssteaks der Länge nach halbieren und jede Hälfte in 3 Stücke schneiden. Die Lorbeerblätter den Rand entlang mit einer Schere einschneiden. Die Zitrone halbieren und jede Hälfte in 4 Stücke schneiden. Die Semmel oder das Baguette in riemenartige, eher dicke Streifen schneiden. Die Rohschinkenscheiben lamellenartig falten. Alle diese vorbereiteten Zutaten sowie die Cipollatas abwechselnd auf 4 Spieße stecken. Die Thymianblättchen von den Zweigen zupfen und eventuell noch etwas feiner hacken. Mit dem Olivenöl und reichlich Pfeffer aus der Mühle verrühren. Alle Zutaten auf den Spießen damit bestreichen. Kurz vor dem Servieren in einer beschichteten Bratpfanne Olivenöl kräftig erhitzen. Die Schweinssteakstücke an den Spießen mit Salz würzen. Die Spieße im heißen Öl bei mittlerer Hitze insgesamt 8–10 Minuten braten. Heiß servieren. Als Beilage passt ein gemischter Blattsalat.
Beerengratin
Zutaten für 4 Portionen / Für den Kleinhaushalt - 2 Personen: Zutaten halbieren (jedoch 2 kleine Eier und 30 g Mehl verwenden) / 1 Person: Zutaten vierteln (jedoch1 kleines Ei und 1½ Esslöffel Mehl verwenden)
500 g gemischte Beeren, 1–2 Esslöffel Zucker, 125 g Magertopfen, 1 dl Rahm, 3 Dotter, ½ Vanilleschote, 1 unbehandelte Orange, 50 g Mehl, 3 Eiklar, 1 Prise Salz, 3 Esslöffel Zucker, Zum Fertigstellen: 1 Esslöffel Staubzucker
Zubereitung: Die Beeren mit der ersten Portion Zucker mischen und in 4-Gratin- oder Souffléförmchen verteilen. Topfen, Rahm und Dotter gut verrühren. Die Vanilleschote der Länge nach aufschneiden und die herausgekratzten Samen zur Masse geben. Etwas Orangenschale dazureiben. Das Mehl dazusieben, unterrühren und die Masse 30 Minuten ruhen lassen. Die Orange auspressen und den Saft über die Beeren träufeln. Den Ofen auf 180 Grad vorheizen. Eiklar und Salz steif schlagen. Die zweite Portion Zucker nach und nach einrieseln lassen und so lange weiterschlagen, bis eine glänzende, steife Masse entstanden ist. Sorgfältig unter die Topfenmasse ziehen. Die Masse über die Beeren verteilen. Die Gratins im 180 Grad heißen Ofen auf der mittleren Rille etwa 15 Minuten backen, bis sie goldgelb sind. Herausnehmen und leicht abkühlen lassen.
Mit Staubzucker bestäuben und lauwarm servieren.
Text: Stefan Stratmann | Fotos: iStockphoto_miodrag ignjatovic; Lukas Beck (2); edition a
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