Da blüht uns was

Wenn Pollen und Gräser Hochsaison haben, beginnt für viele Betroffene das große Kribbeln. Rund 37 Prozent leiden hierzulande an einer Allergie. GESUND & LEBEN erläutert, welche Innovationen bei der Linderung der Beschwerden helfen, wie die Immuntherapie die Ursache bekämpft, warum Allergien immer weiter steigen und was der Klimawandel damit zu tun hat.

Kennen Sie den „Bauernhofeffekt“? „So wird der Umstand bezeichnet, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen und daher häufig Stallluft einatmen und Rohmilch trinken, viel seltener an Allergien leiden als Stadtkinder“, sagt Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim, Fachärztin für Klinische Immunologie am Institut für Pathophysiologie und Allergie­forschung, Medizinische Universität Wien. Woran genau das liegt, hat die Allergologin gemeinsam mit ihrem Team am interdisziplinären Messerli Forschungsinstitut untersucht und dazu Luftproben aus Ställen entnommen, um den Unterschied zu gewöhnlicher Luft herauszufiltern. „Dabei sind wir auf ein Protein namens Lipocalin BLG gestoßen, das auch eine Haupt-Proteinkomponente in der Molke darstellt. Wir haben dieses Protein im Mausmodell auf seine Wirkung auf das Immunsystem bei Mäusen untersucht und festgestellt, dass alle behandelten Tiere vor Allergien geschützt waren“, so Jensen-Jarolim. Ähnlich erfolgreich seien Studien an pollen­allergischen Patientinnen und Patienten verlaufen, die das „Stallstaub-Protein“ zwei Mal täglich in Form von Lutschtabletten eingenommen haben. Auch bei Hausstaubmilben-Allergikerinnen und -Allergikern verbesserten sich die Symptome. „Unsere neuesten Daten beweisen, dass die Lutschtablette auch bei Katzenhaarallergie hilft“, so Jensen-Jarolim. Das BLG in der Lutschtablette enthält zudem Zink und Vitamin A zur Unterstützung des Immunsystems, und besonders auch Eisen: „Die Immunzellen von Allergikerinnen und Allergikern enthalten nämlich zu wenig Eisen“, erläutert die Expertin. Das BLG in der Lutsch­tablette bringt die Mikronährstoffe an diese ausgehungerten allergischen Zellen, sorgt so für eine Beruhigung des Immunsystems und verringert dadurch die Symptomlast bei allergischen Reaktionen. Das belegt auch eine placebokontrollierte Doppelblind-Studie. Parallel mit der Verbesserung des Eisenstatus in den Immunzellen reduzierten sich bei den Probandinnen und Probanden, die die Lutschtablette über sechs Monate eingenommen haben, auch die Beschwerden.

Linderung der Symptome, Bekämpfung der Ursache

Die Entwicklung der Lutschtablette ist eine von mehreren Innovationen, die Allergikerinnen und Allergikern dabei helfen, die Symptome ihrer Allergie zu bekämpfen und den Alltag zu erleichtern. So sorgen mittlerweile auch neue Trocken-Sprays, Kombinations-Nasensprays oder eine neue Generation von Antihistaminika dafür, die häufigsten Leiden wie allergische Rhinitis (Schnupfen), Niesattacken, tränende und juckende Augen, eine laufende oder verstopfte Nase sowie einen kribbelnden Gaumen zu lindern (siehe Grafik, Seite 8). Wenn es darum geht, nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursache von Allergien zu bekämpfen, bleibt die Hyposensibilisierung oder auch Spezifische-Allergen-Immuntherapie (SIT) der Goldstandard in der Behandlung. Sie setzt am eigentlichen Problem an: der Überreaktion des Immunsystems gegen ein spezifisches Allergen als Basis der Symptome. Dabei bewertet unser körpereigenes Abwehrsystem eigentlich harmlose Substanzen wie Pollen, Hausstaubmilben und Co. als fremd und gefährlich und produziert in Folge Abwehrstoffe, die IgE-Antikörper, die sich an den sogenannten Mastzellen anheften. Diese schütten bei erneutem Kontakt Entzündungsbotenstoffe wie zum Beispiel Histamin aus, die die allergische Reaktion im Körper einleiten. Die Immuntherapie arbeitet nun über einen relativ langen Zeitraum von mindestens drei Jahren daran, das Immunsystem an die ungefährlichen Allergene zu gewöhnen. Mittels Spritze, in Tabletten- oder Tropfenform werden die Patientinnen und Patienten regelmäßig mit dem spezifischen Allergen in Berührung gebracht, um einen Gewöhnungseffekt zu erzielen. „Die allergieauslösenden Substanzen werden in Folge besser toleriert und die allergische Reaktion erfolgt milder“, betont Jensen-Jarolim.

 

„Ein negativer Effekt des Klimawandels ist das sogenannte Gewitter-Asthma. In aufziehenden Gewittern und starken Regenfällen  werden Pollen und andere Allergene vermehrt aufgewirbelt.“

 

HOHE LEBENSQUALITÄT TROTZ ALLERGIE

Augentropfen

Gerötete, juckende, brennende und lichtempfindliche Augen – für Betroffene in der Allergiesaison ein häufiges Leiden. Der Hintergrund: Die Bindehaut, die unsere Augen schützt, enthält viele Zellen, die an der Immunabwehr beteiligt sind und daher auch bei einer Allergie aktiviert werden. Tipp: Sind beide Augen betroffen und tränen und jucken, ohne verklebt zu sein, ist das ein Hinweis dafür, dass eine Allergie und zum Beispiel keine bakterielle Infektion hinter den Beschwerden steckt. „Ich empfehle Augentropfen mit Antihistaminika, die effektiv und schnell wirken“, so Dr. Erika Jensen-Jarolim. Der Wirkstoff verhindert das Andocken des Histamins an spezifischen Histamin-Bindungsstellen, indem er diese selbst besetzt.

Nasensprays und  Nasendusche

Verstopft die chronische Rhinitis die Nase, kommt es dort zu einer Veränderung: Es siedeln sich mehr anaerobe Keime an, die die Entzündung noch verstärken. „Deshalb ist die Anwendung von Nasensprays wichtig, um die Belüftung der Nase wieder zu ermöglichen“, betont die Allergologin. Besonders effektiv: Kombinationssprays, die entzündungshemmendes Kortison und Antihistaminika enthalten. „Neu auf dem Markt ist ein Puderspray mit Zellulosepartikeln. Er wird als Trockenspray in der Nase angewendet und bildet dort einen Schutzfilm, der die Allergene daran hindert, in die tieferen Atemwege einzudringen“, so Jensen-Jarolim. Zudem beeinflusst auch die Pflege der Nasenschleimhaut die Beschwerden positiv. Gut geeignet sind etwa Nasenduschen mit isotonischer oder hypotonischer Koch- bzw. Meersalzlösung.

Antihistaminika und Lutschtabletten

Antihistamin-Tabletten blockieren die Rezeptoren für Histamin für rund 24 Stunden und schwächen so die Allergiereaktion ab. „Ich empfehle, die Tabletten wenn möglich vor dem Schlafengehen zu schlucken, da Antihistaminika müde machen können. So nützt man diesen Effekt positiv“, so Jensen-Jarolim. „Neuere Antihistaminika der zweiten Generation haben aber schon schwächere Nebenwirkungen.“ Neue Lutschtabletten mit dem „Stallstaub-Protein“ Lipocalin BLG wirken etwas langsamer, aber anhaltend, indem sie diätisch jenen Eisenmangel ausgleichen, von dem viele Allergikerinnen und Allergiker betroffen sind. „Sie sorgen effektiv für eine Dämpfung der Symptome.

Hyposensibilisierung (Immuntherapie)

Der Name ist Programm: Bei der Hyposensibilisierung wird das Immunsystem über einen langen Zeitraum (mindestens drei Jahre) stimuliert und an die allergieauslösende Substanz(en) gewöhnt. Dabei wird das Allergen, das im Allergietest ermittelt wurde, in den meisten Fällen mittels Spritze, aber auch in Tabletten- oder Tropfenform, verabreicht. „Die allergenspezifische Immuntherapie bekämpft spezifisch den Auslöser der Allergie, sorgt dafür, dass sich die Beschwerden langfristig bessern und verhindert, dass Betroffene mit der Zeit auf immer mehr Allergene reagieren“, erläutert die Medizinerin. „Sie verhindert aber auch, dass die Allergie sich verschlimmert und zu einer gefährlichen Asthmaerkrankung wird.“


Text: Claudia Sebunk | Fotos: iStock_Imgorthand, meduniwien
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