Immer mit der Ruhe

In einer hektischen und reizüberfluteten Zeit wird der Wunsch nach innerer Ruhe immer größer. Psychiater Dr. Michael Stuller erklärt in GESUND & LEBEN, warum man sich für die Ruhe bewusst entscheiden muss, welche Rolle Herzenswünsche spielen – und warum wir uns weniger ärgern sollen.

Wenn man seine Ruhe nicht in sich findet, ist es zwecklos, sie andernorts zu suchen.“ Dieses Zitat vom französischen Adeligen und Literaten François de La Rochefoucauld stammt aus dem 17. Jahrhundert, ist aber nach wie vor aktuell, wie Dr. Michael Stuller erklärt: „Die innere Ruhe ist in jedem von uns, auch wenn sie noch so lange verschüttet war. Wir müssen sie nur freischaufeln“, so der Psychiater und Psychotherapeut. In seinem Buch „Komm runter. Ruhe lernen“ beschreibt er, wie das funktioniert. Das wichtigste Prinzip: Sich für die Ruhe zu entscheiden. „Natürlich gibt es viele Achtsamkeits- und Atemübungen, die für kurzfristige Ruhe und Entspannung sorgen. Für eine nachhaltige Veränderung der eigenen Lebenseinstellung und für langfristige innere Ruhe braucht es aber die Entscheidung zur Ruhe. Die trifft man dann, wenn man wirklich bereit dafür ist.“ Als Beispiel beschreibt Stuller seinen eigenen Weg, denn lange Zeit führte der gebürtige Kärntner als Ö3-Radioreporter ein beruflich wie privat hektisches Leben: „Die größten und wichtigsten Erfahrungen, die ich auf dem Weg zum Ruhe-Experten gemacht habe, war meine eigene Unruhe“, so der Autor, der ein Schlüsselerlebnis zur beruflichen Neuausrichtung beschreibt: „Ich war für eine Reportage bei Eremitinnen eingeladen – bei den unbeschuhten Karmelitinnen – und habe dort die Oberin ganz salopp mit der Frage: ,Grüß Gott, wie geht’s?‘ begrüßt. Sie hielt einen Moment inne, dachte nach und antwortete mir: ,Danke. Ich bin zufrieden.‘ Die Ruhe und Zufriedenheit, die die Frau ausgestrahlt hat, hat mich tief berührt. Erlebnisse wie diese haben mich dazu bewegt, mich auch beruflich auf die Suche nach innerer Ruhe zu machen.“

Dr. Michael Stuller, Psychiater, Psychotherapeut und Coach, Wien und Mödling, michaelstuller.com

 

„Ruhe heißt unter anderem, unangenehme Dinge zu benennen und zu handeln, um sie zu ändern. Das können auch kleine Dinge sein.“


RUHE-TIPPS FÜR ZWISCHENDURCH

Innere Ruhe ist ein langfristiger Prozess. Wenn es im Alltag hektisch wird, sorgen folgende Atem- und Achtsamkeitsübungen rasch für Ruhe- und Entspannungspausen zwischendurch.

Sich ruhig atmen

In der Zeit, in der wir nicht mehr ein- und noch nicht ausatmen, ist die Atemmuskulatur am entspanntesten. Diese Atemübung fokussiert sich auf diesen Moment: Konzentrieren Sie sich dabei nur aufs Ausatmen. „Achten Sie darauf, die Luft nicht mit allzu großem Energieeinsatz auszustoßen. Sie sollten keine Anstrengung spüren, sondern am Ende noch eine Weile den Zustand genießen können, nicht mehr ausatmen zu müssen, und nicht das Bedürfnis haben, nach Luft schnappen zu müssen“, erklärt Michael Stuller. „Fokussieren Sie sich auf den Zeitpunkt der Ruhe: zwischen dem Aus- und dem Einatmen und lassen Sie sich überraschen, wie schnell Sie ruhiger werden.“

Ruheoasen aufspüren

Die Erde ist lauter geworden. Dennoch gibt es auch im hohen Lärm­pegel der Gegenwart Ruheoasen.
„Erkunden Sie Ihre engste Umgebung. Sie werden ein Plätzchen finden, davon bin ich überzeugt. Ziehen Sie sich dorthin zurück und bleiben Sie, solange Sie es aushalten“, so der Ruhe-Experte. „Stille ist im Alltag so selten, dass sie gewöhnungsbedürftig ist. Anfangs wird sie Sie sogar nervös machen. Weder Körper noch Geist haben Erfahrung mit der Lautlosigkeit. Ohne Reize brauchen Sie eine Zeit, um sich zu beruhigen.“ Je regelmäßiger diese Übung im Alltag angewendet führt, desto schneller stellt sich mit der Zeit ein Zustand innerer Ruhe ein, so Stuller.

Ein Plädoyer für Langeweile

Langeweile ist eine angstfreie Zone: Wo Langeweile reagiert, hat Angst keine Macht. Warum das wichtig ist? Weil Angst eng mit Unruhe verbunden ist. „Ich wünsche den Menschen, in Langeweile verweilen zu können. Dazusitzen und zu schauen, einfach nur Zeit verstreichen zu lassen. Das ist ein Nährboden für innere Ruhe“, so der Psychiater.

 

BUCHTIPP

Dr. Michael Stuller

Komm runter. Ruhe lernen

ISBN: 978-3-990016688

 

Text: Claudia Sebunk | Fotos: iStock_leksandarNakic; Interfoto
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