Die Kraft der Farben

Wer auf die richtigen Farben setzt, kann Körper und Geist positiv beeinflussen. Treiben Sie's bunt!

Farben sind ein multisensorisches Erlebnis. Sie beeinflussen unsere Stimmung und unsere Gedanken, bringen Leben in Räume und unterstreichen unsere Persönlichkeit. Doch sie können auch noch etwas anderes: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Farben einen medizinischen Nutzen haben. So helfen sie unter anderem dabei, das Immunsystem zu stärken, Schmerzen zu lindern oder die Wundheilung zu beschleunigen.

„Farben wirken am besten dann, wenn man sie angreifen, ertasten und spüren kann“, ist Franz Leitner überzeugt. Der 75-jährige pensionierte Malermeister aus Fromberg im Waldviertel beschäftigt sich schon sein ganzes Leben lang mit der Wirkung von Farben auf den Menschen. „Malen und Musizieren haben mich bereits in Kindertagen begeistert. Nach sechs Meisterprüfungen habe ich in Hainburg dann meinen eigenen Malerbetrieb eröffnet. Damals habe ich schon Farbberatung angeboten und mich für Farbtherapie interessiert. Die Arbeit mit Menschen hat mir gezeigt, dass Farben in allen Lebensbereichen viel bewirken können“, erklärt Leitner seine Leidenschaft.

Das beginne bereits bei der Geburt: „Babys, die in den kalten Wintermonaten geboren werden, sehen als erstes Grau. Das wirkt sich auch auf ihr späteres Leben aus. Ihnen macht die kalte Jahreszeit wahrscheinlich weniger zu schaffen, sie frieren seltener. September-Kinder hingegen nehmen zuerst die Orange- und Braun-Töne der sich verfärbenden Blätter wahr. Auch diese Farbprägung kann sich auf das weitere Leben auswirken“, erklärt der Experte.

Wirkung auf die Psyche

Das menschliche Auge kann rund 200 verschiedene Farbtöne differenzieren – doch dazu braucht es Licht. Denn außerhalb des Auges gibt es keine Farben, sondern nur Strahlungen. Gelangen diese auf die Netzhaut des Auges, werden sie von Sinneszellen in Nervenimpulse umgewandelt. Diese Impulse werden ans Gehirn gesendet und lösen dort eine Farbempfindung aus. Der Münchner Augenspezialist Prof. Dr. Fritz Hollwich hat vor rund 40 Jahren eine spannende Entdeckung gemacht: Nicht der gesamte Sehnerv des Auges führt in das Seh-Zentrum des Gehirns, wie man zuvor angenommen hatte. Ein Strang des Nervs zweigt ab und ist direkt mit dem Mittelhirn verbunden. Im Seh-Zentrum werden die Farben als optisches Erlebnis aufgenommen. Im Mittelhirn aber werden die Farbeindrücke in Gefühle und Impulse umgewandelt, die viele Funktionen im Organismus beeinflussen können. Das bedeutet, dass Farben sowohl optisch als auch psychisch und organisch auf Menschen einwirken können. „Meist zeigt sich der Einfluss von Farben auf psychischer Ebene“, weiß Franz Leitner. „Der Körper braucht relativ lange, bis er über die Zellen Farbe aufnimmt. Indem wir aber unsere Lebensbereiche farblich gestalten, können wir dafür sorgen, dass bestimmte negative Reaktionen und Emotionen nicht entstehen. Denn Farben können sowohl ein positives als auch ein negatives Klima erzeugen.“

So sei es beispielsweise für Menschen mit einem stressigen Beruf von Vorteil, sich zuhause einen Vorraum in dunklen Braun- und Orangetönen, mit Lehm- und Holzmaterialien sowie einer Sitzgelegenheit einzurichten, rät Leitner: „Wenn man nachhause kommt, kann man sich so erst einmal hinsetzen, gemütlich ankommen und mit dem Arbeitstag abschließen.“

Der begeisterte Maler, der sich auch regelmäßig ehrenamtlich in Pflege-, Betreuungs- und Förderzentren engagiert, erinnert sich an einen geistig beeinträchtigten Buben, der hyperaktiv und kaum zu beruhigen war. „Dann habe ich herausgefunden, dass seine Mutter immer sehr schnell mit ihm durch das Haus in sein Zimmer geeilt ist. Auf meine Empfehlung hin hat sie den Vorraum umgestaltet, sich dort länger mit ihm hingesetzt und ihn in Ruhe ankommen lassen. Sein Zimmer wurde in beruhigendem Grün gestrichen. Es hat nicht lang gedauert, bis er viel ausgeglichener war. Es kommt also nicht nur auf die Farbe an, sondern auch auf den richtigen Umgang damit.“ Dabei rät Leitner, nicht ausschließlich auf die Wandfarbe zu achten, sondern auch auf die Farbe der Gegenstände: „Wer sich im Job viel konzentrieren muss, ist zum Beispiel mit einer grünen Schreibtischunterlage oder Lampe gut beraten. Und bei einem Kind, das nur sehr wenig isst, kann man oft mit einem orangen Teller oder einer orangen Serviette dabei helfen, den Appetit anzuregen.“ 

Schneller gesund werden

Die Erkenntnis, dass Farben einen positiven Effekt auf Menschen haben können, hat sich auch im medizinischen Bereich ausgewirkt: Schon in der Antike wurde mit Farben in der Heilkunde experimentiert. Kranke wurden mit farbigen Pasten bestrichen oder in bunte Tücher eingewickelt. Auch in der indischen Heilkunst Ayurveda werden den sieben Farben Rot, Orange, Gelb, Grün, Gelb-Grün, Blau und Violett Heilkräfte zugeschrieben. Sie stehen dabei in unterschiedlicher Beziehung zu Körper, Geist und Seele und sollen dazu genutzt werden, das Gleichgewicht zu erhalten oder wiederherzustellen. Mittlerweile wird an mehreren verschiedenen Therapieformen geforscht, bei denen die Selbstheilungskräfte des Körpers durch Farben unterstützt und angeregt werden sollen. Dazu zählen beispielsweise die Farbmeridiantherapie oder die Farbpunktur, bei der gebündeltes Farblicht auf Akupunkturpunkte gerichtet wird, um eine heilende Wirkung zu erzielen. In der Kinesiologie kommen Farbbestrahlung oder Farbbrillen zum Einsatz.  

In Kliniken und Ordinationen spielen Farben ebenfalls eine tragende Rolle: Beobachtungen haben gezeigt, dass viel Weiß in Krankenzimmern unbewussten Stress bei Patientinnen und Patienten, aber auch beim medizinischen und Pflegepersonal verursachen kann. Vor einigen Jahren waren Operationssäle und die Tücher am Operations-Tisch generell weiß. Dabei stellte sich heraus, dass dies, vor allem unter dem Einfluss der OP-Lampen, ermüdend auf das Mediziner-Team wirkt. Aus diesem Grund wurde das Weiß durch blaugrüne Tücher und Kittel ersetzt. Blaugrün ist die Komplimentär-Farbe zum Blutfarbstoff. Sie bringt Entspannung für die Augen und für das Gehirn. Aber auch Ordinationen, Patientenzimmer oder Warteräume werden heute vielfach in angenehmen blauen oder grünen Pastelltönen gestaltet und wirken damit beruhigend und vitalisierend auf die Patientinnen und Patienten.

„Ein reines Therapieren mit Farbe ist langwierig und nicht ausreichend erforscht“, gibt Leitner zu bedenken. „Es macht aber durchaus Sinn, sein Umfeld für das alltägliche Leben mit den passenden Farben auszustatten. Das bewährt sich gerade in Zeiten wie diesen: Viele Menschen sind durch die Corona-Krise erstmals gefordert, von zuhause aus zu arbeiten und können damit nur schwer umgehen. Durch den Einsatz von aktivierenden und konzentrationsfördernden Farben kann man diesen Umstand aber stark verbessern. Vielleicht ist ja gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, um mehr Farbe ins Leben zu holen.“


Text: Michaela Neubauer | Foto: Unsplash.com
Näheres zur Bedeutung der Farben erfahren Sie in GESUND & LEBEN 11/20.

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Auf der Suche nach Vergessenem