Erkranktes Fettgewebe

Übermäßig dicke Arme, Beine und Hüften: Ein Lipödem ist mit starken Schmerzen verbunden

Natalie W. ist zwölf Jahre alt, als sie bemerkt, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmt. „Ich hatte nie Gewichtsprobleme und war immer nur leicht über dem Normalgewicht“, erzählt die 27-Jährige. „Mein Bauch war schlank, aber die Arme, Beine und das Gesäß haben immer mehr an Umfang gewonnen. Die Körperproportionen waren einfach nicht harmonisch.“ Natalie W. weiß damals noch nicht, dass sie an einem Lipödem, einer chronischen Fettverteilungsstörung, leidet. Sie nimmt den Kampf gegen die ungeliebten Körperregionen auf und beginnt mit 14 Jahren, intensiv Sport zu treiben. An sechs Tagen pro Woche macht sie täglich drei Stunden Bewegung. Eine Stunde entfallen auf Fitnessübungen, zwei Stunden trainiert sie die koreanische Kampfsportart Taekwondo. Mit 17 Jahren muss der Teenager wegen der immer schlimmer werdenden Schmerzen mit dem Sport aufhören. „Es sind durchgängige Schmerzen, die sich wie ein starker Muskelkater anfühlen. Je nach Art der Bewegung sind sie einmal stärker und einmal schwächer. Schon Stufen zu steigen oder nur schnell über den Zebrastreifen zu laufen, ist sehr unangenehm und tut weh. Es ist so, als ob man einen Betonklotz am Fuß hängen hätte“, schildert die Hollabrunnerin ihren Alltag.

Vorwiegend Frauen betroffen
Das Schwere- und Druckgefühl ist typisch für das Lipödem, bei dem sich das Unterhautfettgewebe vor allem an der Hüfte und den Beinen, aber auch an den Armen unverhältnismäßig stark vermehrt. Zur Berührungs- und Druckempfindlichkeit kommt häufig auch die Neigung zur Entwicklung von Blutergüssen, sogenannten blauen Flecken (Hämatomen) und Schwellungen (Ödeme), die durch Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe entstehen. Das Lipödem, das auch unter den Bezeichnungen Reiterhosensyndrom oder Säulenbein bekannt ist, tritt fast ausschließlich bei Frauen auf. Männer sind sehr selten betroffen. „Die genauen Hintergründe sind bis heute ungeklärt“, erklärt Dr. Marie-Thérèse Howanietz, Assistenzärztin an der Abteilung Chirurgie im Landesklinikum in Waidhofen/Ybbs. „Fest steht, dass das Lipödem bei Frauen oft in Phasen hormoneller Veränderung auftritt, wie in der Pubertät, bei einer Schwangerschaft oder in der Menopause.

Dr. Marie-Thérèse Howanietz, Abteilung Chirurgie im Landesklinikum Waidhofen/Ybbs

 

INTERVIEW | LINDERUNG DER SYMPTOME

Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller, Vorstand der Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie der Klinik Ottakring und Klinik Landstraße, Wien

Wie erfolgt die Diagnose eines Lipödems? 
Die Diagnose Lipödem ist zu stellen, wenn eine dyproportionale Fettvermehrung an den unteren Extremitäten bei ansonsten normalen Körperproportionen vorliegt, verbunden mit Schmerzhaftigkeit und Neigung zu blauen Flecken. Differenzialdiagnostisch müssen eine simple Adipositas (anderes Fettverteilungsmuster) und ein Lymph-ödem (Füße auch geschwollen) und Kombinationen dieser Erkrankungen in Erwägung gezogen werden. Besonders die Kombination von Lipödem mit simpler Fettleibigkeit ist häufig. Eine exakte Diagnose ist in der Regel durch eine sorgfältige klinische Untersuchung möglich.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? 
Ernährungsumstellung und Sport helfen in der Regel nur bei zusätzlich vorliegender Adipositas. Lipödem-Patientinnen, die auch an Adipositas leiden, hilft nur ein multidisziplinärer Ansatz unter Einbeziehung von internistischen Stoffwechselspezialistinnen und -spezialisten und physikalischen Medizinern. Unter Umständen ist ein bariatrischer Eingriff, wie ein Magenbypass, anzuraten. Die Kompressions- und lymphologische Therapie wird zwar von den Krankenkassen als Vorbedingung für die Operation gefordert, hat jedoch beim klassischen Lipödem wenig Sinn, weil das pathologisch veränderte Fettgewebe durch Kompression nicht verschwindet. Die überwiegende Anzahl der echten Lipödem-Patientinnen kommt nach einer konservativen Vorbehandlung schlussendlich doch zur Operation.


AUSTAUSCH UNTER BETROFFENEN

Der Verein ChronischKrank informiert über Selbsthilfegruppen für Lipödem-Patientinnen und betreibt die Facebook-Gruppe „Lipödem Österreich“.
Ansprechpartner: Obmann Mag. Jürgen Holzinger, Tel.: 07223/82667, holzinger@chronischkrank.at, www.chronischkrank.at/verein/unsere- selbsthilfegruppen/lipoedem


Text:  Jacqueline Kacetl | Foto: ZVG, Adobe Stock/ high_resolution, ZVG
Mehr zum Thema „Erkranktes Fettgewebe“ und zum Interview mit Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller erfahren Sie in GESUND & LEBEN 12/21.

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