Der frühe Vogel ist fitter
Frühsport ist nicht jedermanns Sache. Eigentlich schade, lässt er uns doch fit und beschwingt in den Tag starten. Damit nicht genug, können wir lästigen Fettpölsterchen morgens effektiver den Kampf ansagen, so die Meinung der Sportmedizin.
Für die einen gehört er zum Alltag, für die anderen ist er schlichtweg undenkbar: Die Rede ist vom Frühsport. Beim ersten Mal fragt sich fast jeder oder jede, warum er oder sie sich das antut. Doch nach ein paar Morgen wollen ihn die meisten nicht mehr missen. Und das ist gut so, denn das Work-out kurz nach dem Aufstehen ist definitiv empfehlenswert. Wir haben überzeugende Gründe und auch Tipps für Morgensportler – oder solche, die es werden wollen.
Weg mit dem Speck
Vorweg sei betont: In der Früh Sport zu betreiben, ist nicht generell besser, als wenn wir untertags bzw. am Abend trainieren. Laut Dr. David Kiesl, Sportmediziner am Institut für Sport- und Gesundheitsmedizin in Linz (sportmediziner.at), ist es in erster Linie wichtig, sich über das Ziel im Klaren zu sein, das mit dem Sport verfolgt wird: „Wer vor allem den Fettstoffwechsel trainieren bzw. Fett abbauen möchte, sollte morgens sporteln, und zwar auf nüchternen Magen. Da wir über Nacht nichts essen, sind die Kohlenhydratspeicher in der Früh leer. Und weil keine Kohlenhydrate zur Verfügung stehen, bedient sich der Körper beim Frühsport eher des Fettstoffwechsels.“
Wer nun aber plant, gleich morgen in der Früh die Laufschuhe anzuziehen und sozusagen „auf Teufel komm raus“ loszurennen, wird keine Freude haben. Denn je intensiver wir trainieren, umso mehr Kohlenhydrate werden benötigt. Auf Letztere können wir morgens nicht setzen, was dazu führen würde, dass man nach nur kurzer Zeit ausgepowert ist. Mit anderen Worten: Die Intensität des Trainings sollte je nach Tageszeit und Ernährungszustand gewählt werden.
„Wer vor allem Fett abbauen möchte, sollte morgens sporteln, und zwar auf nüchternen Magen“
Effektiv, aber nicht intensiv
Bei einem niederintensiven Grundlagentraining reicht dem Körper die Energie, die er sich aus den Fettreserven holen kann. Jedoch ist der Fettstoffwechsel sehr träge, weshalb man laut Kiesl „mindestens 30, noch besser 45 Minuten oder mehr für das Training einplanen sollte. Alles darunter ist nicht sinnlos, aber weniger effektiv.“ Fettstoffwechsel- bzw. Grundlagentraining lebt also von der Zeit, ist morgens allerdings nur möglich, wenn die Intensität nicht so hoch ist. Beispiele dafür sind zügiges Gehen, Nordic Walking oder Radfahren. Einheiten, die Kraft oder muskuläre Ausdauer trainieren, werden indes kürzer oder in Form von Intervalltrainings absolviert. Und das hat untertags mehr Sinn, denn derartige Leistungspeaks kann man einerseits nicht über lange Zeit durchhalten und benötigen andererseits Kohlenhydrate.
Beim niederintensiven Training geht es vordergründig nicht um Geschwindigkeit oder Leistung, sondern um die Dauer. Und hier spielt wiederum die Pulsfrequenz eine entscheidende Rolle. Kiesl erklärt: „In der Sportmedizin dient die maximale Herzfrequenz als Referenz. Als Faustregel kann man hier mit 220 minus Lebensalter rechnen. Bei 60 bis 70 Prozent davon trainieren wir dann im Grundlagenbereich. Es macht somit durchaus Sinn, sich für das morgendliche Training eine geeignete Sportuhr zuzulegen, mit der man den Puls messen kann. Wer es noch genauer haben möchte, lässt eine sportmedizinische Leistungsuntersuchung durchführen, bei der man genau durchgecheckt wird, die Leistungsschwellen individuell bestimmt und in der Folge auch konkret danach trainieren kann.“
Wie Gartenarbeit
Freilich kann man nicht sagen, ob sich der Körper morgens nur des Fettstoffwechsels bedient und abends ausschließlich auf Kohlenhydrate setzt. Vielmehr werden immer verschiedene Stoffwechselspeicher angegangen. Doch Fakt ist: „Ab einem gewissen Punkt verlässt man die reine Grundlage. Vergleichbar ist das etwa mit einem Garten, der mit dem Wasser einer vollen Regentonne gegossen wird. Hier kann man schnell spritzen, wodurch die Regentonne schneller leer ist. Oder man wässert Erde, Blumen und Pflanzen langsam, sodass es länger dauert, bis das Wasser ausgeht. Umgelegt auf den Körper heißt das: Egal mit welcher Intensität wir trainieren, irgendwann sind die Speicher leer“, erklärt der Sportmediziner.
Was jedoch den Fettstoffwechsel angeht, ist es auf jeden Fall effizienter, auf nüchternen Magen zu trainieren. Eine Tasse Kaffee oder einen Espresso zu trinken, ist aus Sicht des Experten vertretbar, da dieser so gut wie keine Kohlenhydrate liefert, jedoch mittels Koffein etwas zur Motivation beiträgt. Ratsam ist es auch, nicht direkt nach dem Aufstehen in die Sportschuhe zu schlüpfen, sondern sich 15 bis 30 Minuten Zeit zu lassen.
Jeden Morgen wieder
Ein großer Vorteil des Frühsports liegt auch darin, dass man die Einheiten meist fix einplanen kann. Der eine steht früher auf und dreht eine Runde, der andere legt den Weg zur Arbeit zu Fuß oder mit dem Rad zurück. Und manche treffen sich mit anderen Frühsportlern, um gemeinsam zu trainieren. So oder so sind es Fixpunkte, die schlussendlich zur täglichen Routine werden. Abendliche Einheiten fallen nicht selten einem (zu) vollen Terminkalender, einer spontanen Verabredung oder schlichtweg fehlender Motivation zum Opfer. Übrigens: Studien belegen, dass es durchschnittlich nur etwa zwei Monate dauert, bis wir eine neue Tätigkeit fast schon automatisch, ohne darüber nachzudenken, ausführen.
Wer trotzdem nicht gleich beim ersten Mal Feuer fängt, sollte nicht sofort aufgeben. Kiesl weiß: „Kontinuität ist im Sport besonders wichtig. Außerdem gewöhnt sich der Körper mit jedem Mal ein bisschen mehr daran.“ In diesem Sinne: Auf einen sportlichen Start in den Tag.
Noch mehr Gründe für Sport am Morgen
Laut einer Studie unter der Leitung von Emma Stevenson und Javier Gonzales von der Northumbria University in Newcastle (UK) soll man beim morgendlichen Sporteln bis zu 20 Prozent mehr Fett verbrennen, sofern auf nüchternen Magen trainiert wird. Doch beim Frühsport geht es nicht nur den Fettreserven an den Kragen.
Frühsport bringt Kreislauf und Durchblutung so richtig in Schwung. Das liegt unter anderem daran, dass der Körper durch die Bewegung mehr Hormone ausschüttet. Diese wiederum beschleunigen den Herzschlag, wodurch das Herz verstärkt Blut durch den Körper pumpt. So ist der Körper bestens für den Tag vorbereitet. Doch aufgepasst: Menschen mit einem schwachen Herz sollen sich im Vorfeld auf jeden Fall an den Arzt ihres Vertrauens wenden.
Apropos Hormone: Beim Sport werden etliche davon freigesetzt – vom Adrenalin, das unsere Gehirnleistung steigert, bis zum Glückshormonen Serotonin. Wer mit einem derartigen „Hormoncocktail“ in den Tag startet, profitiert mitunter bis am Abend davon.
Wer morgens trainiert, schläft besser. Das mag auf den ersten Blick komisch klingen, doch es gilt als erwiesen, dass wir besser ein- sowie tiefer und entspannter durchschlafen, wenn wir regelmäßig Frühsport betreiben.
Beim Sport an der frischen Luft bekommen wir eine Extraportion Sauerstoff, die vor allem in der Früh noch frei von Schadstoffen und etwa auch Pollen ist. Zeigen sich bereits die ersten Sonnenstrahlen, kann man zusätzlich Vitamin D tanken. All das ist insbesondere für jene von Vorteil, die den ganzen Tag im Büro sitzen.
Text: Christiane Mähr | Foto: iStock_ DeanDrobot; KUK
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