Eltern sind nicht an allem schuld

Jeder von uns trägt seinen Lebensrucksack, sein Pinkerl, wie es heißt. Gepackt wird das Seelen-Pinkerl schon in frühester Kindheit. Doch niemand muss sich mit Mustern abfinden.

Die Grundlage für ein gesundes Leben wird schon im Mutterleib gesetzt, darüber ist sich die Wissenschaft einig. Abgesehen von genetischen Komponenten der Eltern können sich Verhalten und Wohlbefinden, aber auch Stress und Ängste der Mutter auf das Ungeborene auswirken. Das heißt aber nicht, dass ein belastendes Paket automatisch dem Nachwuchs übergeben wird, denn für die Entwicklung eines Kindes sind vor allem die ersten drei Lebensjahre entscheidend. In dieser Phase braucht es Schutz und Aufmerksamkeit der Eltern, damit sich das Gehirn entsprechend entwickeln kann und Vertrauen aufgebaut wird. Selbst wenn sich Erwachsene nicht daran erinnern können, welche Kränkungen, Enttäuschungen oder Traumata sie in den ersten Lebensjahren erfahren haben, sind diese im Unterbewusstsein abgespeichert und beeinflussen das Verhalten mit. 

Biologische Konsequenzen von Stress und Trauma der Mutter müssen nicht zwingend auf das Kind übergehen.

Spuren des Missbrauchs

Eine Reihe von Studien zeigt, dass Stress, Vernachlässigung und psychische oder physische Misshandlungen generell zu biologischen Veränderungen des Stoffwechsels führen – und im Erwachsenenalter bestimmte Erkrankungen begünstigen können. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Man kann gegensteuern. „Aus der Psychotherapie wissen wir schon länger, dass Missbrauchshandlungen aus der Kindheit in den Betroffenen noch lange Zeit Spuren hinterlassen“, erläutert die Psychologin Iris-Tatjana Kolassa von der Universität Ulm, Abteilung Klinische und Biologische Psychologie. Nun hat Kolassa mit ihrer Arbeitsgruppe untersucht, wie sich Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlungen in der Kindheit auf den Stoffwechsel im Erwachsenenalter auswirken. „Es ist bekannt, dass Betroffene anfälliger für psychische und physische Erkrankungen sind, insbesondere, wenn später im Leben weitere Stressoren hinzukommen“, sagt die Wissenschafterin. „Bisher hat sich die Stressforschung ausschließlich auf Neurotransmitter konzentriert. In unserer Studie konnten wir erstmals zeigen, dass der Körper noch Jahrzehnte nach einem Stressinduzierenden Ereignis wie einem Missbrauch einen veränderten Metabolismus in bestimmten Stoffwechselpfaden aufweist“, erklärt Kolassa. „Die biologischen Veränderungen in der zellulären Energieproduktion ließen sich zwar für Mütter mit Missbrauchs- und Misshandlungserfahrungen nachweisen, aber nicht für deren Kinder.“

 

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Text: Doris Simhofer  | Foto:  Adobe Stock/ Aung Myo
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