Frauen ticken anders
Frauen werden anders krank als Männer. Auch auf Impfungen und Medikamente reagiert das weibliche Geschlecht anders als das männliche.
Mit den biologischen und sozialen Geschlechterunterschieden bei Krankheiten und deren Behandlung beschäftigt sich die noch relativ junge Forschungsdisziplin der Gendermedizin – damit Frauen nicht wie „Max Mustermann“ behandelt werden. Bis vor Kurzem galt der Mann in der Medizin als Standard. Frauen wurden in Studien kaum berücksichtigt. Nachdem in den Sechzigerjahren Tausende, die in der Schwangerschaft das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan genommen hatten, Kinder mit Fehlbildungen zur Welt brachten, wurden Frauen kategorisch von klinischen Medikamentenstudien ausgeschlossen. Zu groß war die Angst, sie könnten während der Studie schwanger werden – und ein Kind mit Behinderung zur Welt bringen. „Außerdem sind die Daten weiblicher Teilnehmerinnen durch den Zyklus, die Menopause, die Pille oder Hormonersatztherapien schwieriger zu bewerten“, erklärt die Wiener Universitätsprofessorin Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Leiterin der Klinischen Abteilung für Endokrinologie & Stoffwechsel sowie Leiterin der Gender Medicine Unit an der MedUni Wien am AKH. Dazu kommt: „Bei freiwilligen Studien nehmen, außer bei Studien zur Gewichtsreduktion, stets weniger Frauen als Männer teil. Sie sind vorsichtiger und kritischer. Die Forschung ist immer noch männerdominiert.“
„Bei freiwilligen Studien nehmen stets weniger Frauen als Männer teil.“
Frage der Chromosome
Der kleine Unterschied zwischen Männlein und Weiblein liegt im Detail – bei den Geschlechtshormonen und Chromosomen, die die Funktion aller Organe im Körper steuern: Schilddrüse, Leber, Gehirn, Knochen, Darm und Immunsystem. Durch das doppelte X-Chromosom haben Frauen eine bessere Immunabwehr. Ein Geschenk der Evolution, weil sie Kinder zur Welt bringen. Sie erkranken auch weniger häufig an Krebs. Andererseits leiden sie häufiger an Auto-Immunerkrankungen: dem Hashimoto-Syndrom der Schilddrüse, der Hautkrankheit Lupus und Multipler Sklerose. Kautzky-Willer ortet auch bei Operationen einen Gender-Gap: „Weibliche Organe sind oft kleiner, die Gefäße zarter und Operationen deswegen möglicherweise schwieriger.“
Auf den Unis wird Gendermedizin mittlerweile gelehrt, in der Praxis ist sie jedoch nicht überall angekommen.
Text: Karin Lehner | Foto: istockphoto: Artem_Furman
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