Weiblicher Herztakt
Frauen sterben öfter an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Männer. Ein Herzinfarkt bei Frauen hat andere Symptome, die oft unerkannt bleiben. Für die weibliche Herzgesundheit spielen psychische Stabilität und Stressreduktion eine besondere Rolle.
Frauen haben eine höhere Lebenserwartung als Männer. Laut österreichischem Frauengesundheitsbericht 2022 werden Frauen 83,7 Jahre alt, während Männer rund fünf Jahre früher sterben. Die führende Todesursache von Frauen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie koronare Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz oder Bluthochdruck. Zu den schwerwiegenden Folgen zählen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Herzrhythmusstörungen. „Die zentralen Risikofaktoren sind Rauchen, hohe Blutfettwerte, Bluthochdruck, Übergewicht und Bewegungsmangel“, erklärt Prim. Univ.-Doz. Dr. Sebastian Globits, ärztlicher Leiter im Herz-Kreislauf-Zentrum Groß Gerungs. Die Schwerpunkte des im Waldviertel gelegenen Kompetenzzentrums für Herzgesundheit liegen in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Rehabilitation nach einem Herzereignis wie einem Herzinfarkt oder einer Stentimplantation. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und besonders Herzinfarkte werden immer noch als typische Männerkrankheiten wahrgenommen. Als Ursache wird das spätere Auftreten einer Herzerkrankung bei Frauen vermutet. Während Männer schon ab etwa 35 Jahren gefährdet sind, sind Frauen bis etwa 45 Jahre durch die weiblichen Geschlechtshormone besser geschützt. „Wenn der Hormonspiegel nach der Menopause sinkt, nehmen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen drastisch zu. Im höheren Alter sterben mehr Frauen als Männer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, erklärt Primarius Globits.
Wenn der Hormonspiegel nach der Menopause sinkt, nehmen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen drastisch zu.
Atypische Beschwerden
Wie der Frauengesundheitsbericht aufzeigt, haben Frauen nach einem Herzinfarkt eine höhere 30-Tages-Mortalität als Männer. Das liege unter anderem an den unterschiedlichen Symptomen, sagt Globits: „Das typische klinische Bild des Herzinfarkts beim Mann – also ein flächenförmig anhaltender Schmerz über der Brust, der in den linken Arm ausstrahlt – haben Frauen sehr oft nicht. Frauen haben häufig atypische Beschwerden. Ihnen ist ein bisschen schlecht, sie erbrechen, sind müde, erschöpft oder haben schlecht geschlafen. Daher wird der Herzinfarkt bei der Frau oft nicht gleich erkannt.“ In vielen Fällen sind Frauen allein, wenn sie einen Herzinfarkt erleiden. Laut Statistik Austria wohnen rund ein Drittel der 60- bis 79-jährigen Frauen allein. Ab dem 80. Lebensjahr leben mehr als die Hälfte der Frauen in Single-Haushalten. „Frauen erleben ihren Herzinfarkt oft erst als Witwe, weil Männer im Schnitt früher sterben als Frauen. Dann ist niemand da, der Hilfe holt. Wenn ein Mann mit fünfzig oder sechzig Jahren einen Herzinfarkt bekommt, alarmiert meistens die Frau die Rettung oder reanimiert selbst. Die Frau erlebt ihren Herzinfarkt oft einsam und allein. Und der Herzinfarkt ist ja noch immer mit einer hohen Todesrate verbunden, wenn man nicht rechtzeitig ins Spital kommt“, sagt Globits.
Stress und Depression
Einen großen Anteil an der weiblichen Herzgesundheit haben emotionale Belastungen und Stress. Noch immer erledigen laut österreichischem Frauengesundheitsbericht Frauen den größten Teil der unbezahlten Betreuungs- und Hausarbeit, während Männer den überwiegenden Teil der Erwerbsarbeit übernehmen. Zur unbezahlten Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen werde auch die emotionale Arbeit eher von Frauen geleistet und von Männern konsumiert. Laut Bericht sind es meist Frauen, die für die emotionale Stabilität der Kinder sorgen und für Harmonie und Ausgleich innerhalb der Familie und der Beziehung zuständig sind. „Stress spielt für die Herzgesundheit von Frauen eine wichtigere Rolle als für Männer“, erklärt Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien. „Psychosoziale Belastungen können Depressionen hervorrufen, die ein schwerwiegender Risikofaktor für eine Herzerkrankung sind. Außerdem kommt bei Frauen der Verbindung zwischen Herz und Hirn eine größere Bedeutung zu: Die Amygdala, der Bereich des Gehirns, der für Erinnerung und Emotion zuständig ist, wird bei Frauen stärker aktiviert, was zur Freisetzung von Entzündungszellen und zu Veränderungen der Herzdurchblutung führt. Chronischer Stress belastet das Frauenherz also stärker, was Gefäßveränderungen und Durchblutungsstörungen hervorrufen kann.“
Gebrochenes-Herz-Syndrom
Durch starke emotionale Belastungen wird ein Herzleiden hervorgerufen, das unter dem Namen „Takotsubo“ oder „Broken-Heart-Syndrom“ erstmals 1990 in Japan beschrieben wurde. Gehäuft trat das Phänomen 2004 bei Erdbebenopfern auf der japanischen Insel Honshu auf. Die Symptome wie starke Brustschmerzen oder Atemnot ähneln einem Herzinfarkt. Die Herzkranzgefäße sind aber nicht wie bei einem Infarkt blockiert, sondern bleiben funktionsfähig. Für das Broken-Heart-Syndrom wird ein Überschuss an Stresshormonen verantwortlich gemacht, die infolge von emotionalen Ausnahmesituationen ausgeschüttet werden. Auslöser können Ereignisse wie Trennungen, Todesfälle, Probleme am Arbeitsplatz oder Sorgen in der Familie sein. „Takotsubo ist der Stress-Supergau. Was genau dahintersteckt, ist immer noch nicht ganz klar, aber wahrscheinlich reagieren Frauen sehr sensitiv auf Katecholamine, also Stresshormone. Betroffen sind rund 90 Prozent Frauen nach der Menopause – das Geschlechtshormon Östrogen bietet davor einen gewissen Schutz. Wenn das Östrogen dann wegfällt, ist das Risiko besonders hoch“, erklärt Kautzky-Willer. In den meisten Fällen verläuft die Erkrankung nicht tödlich, sondern heilt nach einer medikamentösen Behandlung wieder ab.
Gestiegenes Risikoverhalten
Eine große Gefahr gehe von intensivem Zigarettenkonsum bei gleichzeitiger Einnahme der Pille aus, betont Globits. „Diese Kombination ist furchtbar. Leider haben Frauen in den letzten Jahren bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgeholt, weil sie das Risikoverhalten der Männer kopieren. Die Raucherrate bei jungen Mädchen ist mittlerweile höher als bei jungen Burschen, und die Pille fördert Thrombosebildungen. Aber auch die sonstigen Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Übergewicht, Diabetes, hohe Cholesterinwerte und hoher Blutdruck treten bei Frauen heute häufiger auf als früher. Das ist eine unerfreuliche Entwicklung.“ Manche Risikofaktoren hätten auf Frauen stärkere Auswirkungen und sollten genauer untersucht werden, sagt auch Kautzky-Willer: „So ist Diabetes bei Frauen ein noch stärkerer Risikofaktor als bei Männern. Frauen unterschätzen oft ihr Risiko und verharmlosen gestiegene Blutzuckerwerte. Man muss dem aber genauer nachgehen, zur Früherkennung von Diabetes eine Langzeitzucker-Messung durchführen und im Idealfall einen Zuckerbelastungstest machen.“ Für beide Geschlechter gilt: Eine Änderung des Lebensstils durch Nichtrauchen, Gewichtsreduktion, Bewegung (empfohlener Richtwert: 150 Minuten wöchentlich) und herzgesunde Ernährung (u. a. Vollkornprodukte, frisches Obst und Gemüse verzehren, gesättigte Fettsäuren, Wurst, Fertigprodukte, Transfette vermeiden sowie wenig Salz, Zucker und Fleisch konsumieren) verbessert den Krankheitsverlauf und ist die beste Vorbeugung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Frauen sollten zudem auf ihre Schlafqualität und die psychische Gesundheit achten: Mit Entspannungstechniken wie Yoga oder autogenem Training lässt sich Stress abbauen, bei Depressionen sind psychologische oder psychotherapeutische Betreuungsangebote wichtig. Ferner wird Frauen geraten, sich nach einem Herzinfarkt oder einer Herzoperation ausreichend zu erholen, und nicht zu früh mit der Haus- oder familiären Sorgearbeit zu beginnen.
BUCHTIPP
Prof. Dr. med. dr. h.c. Vera Regitz-Zagrosek,
Dr. med. Stefanie Schmid-Altringer:
Gendermedizin: Warum Frauen eine andere Medizin brauchen
Frauenkörper sind anders als Männerkörper. Die renommierten Autorinnen erklären anschaulich, warum eine geschlechtersensible Medizin vor allem für Frauen lebenswichtig sein kann. Die relativ neue Fachdisziplin „Gendermedizin“ stellt schon jetzt das bisherige Vorgehen und Denken der Schulmedizin infrage. Damit Prävention wirken kann und Diagnostik sowie Therapie tatsächlich gesund machen, müssen biologische Unterschiede, aber auch Lebensphasen und Lebenswirklichkeiten beider Geschlechter,
mitgedacht und einbezogen werden.
ISBN: 978-3-958032507
„Frauen sind unterrepräsentiert“
Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien und Wissenschaftliche Leiterin des Genderinstituts und von la pura in Gars am Kamp
Welche Besonderheiten hat das weibliche Herz?
Das weibliche Herz ist wesentlich kleiner, was etwa bei einer Herztransplantation ein Problem darstellen kann. Die Gefäße, die das Herz mit Sauerstoff versorgen, haben einen geringeren Querschnitt und sind zarter. Die Muskelmasse der linken Herzkammer ist geringer, und auch die Alterung des Herzmuskels ist bei Frauen unterschiedlich. Im Gegensatz zu Männern verdickt sich der Herzmuskel bei Frauen nicht. Zudem haben Frauen einen höheren Ruhepuls als Männer und bis zur Menopause zumeist auch einen niedrigeren Blutdruck. Wahrscheinlich sind die Blutdruckgrenzwerte für Frauen aber etwas zu hoch, weil man bemerkt hat, dass schon im hochnormalen Blutdruckbereich Frauen mehr Komplikationen haben. Medizinisch ist hier gerade einiges in Diskussion.
Welche Faktoren spielen eine Rolle, wenn Frauen einen Herzinfarkt erleiden?
Die Symptome sind bei Frauen oft anders: Wenn Frauen eher unter Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen im Oberbauch oder im Kieferbereich leiden, denkt man nicht so rasch an einen Herzinfarkt. Zudem werden der Notarzt oder die Rettung später gerufen und bei Herzstillstand wird weniger oft eine Herzmassage gemacht. Die Symptome von Frauen werden in Notfallambulanzen auch als weniger dringlich eingestuft, und es wird auch weniger oft ein Herzkatheter gemacht. Auch das Geschlecht des Arztes ist von Bedeutung: Internistinnen und Chirurginnen, die Frauen behandeln, haben bessere Ergebnisse. Bei Internistinnen könnte eine Rolle spielen, dass sie Symptome vielleicht richtiger intuitiv einordnen, mehr auf Risikofaktoren und Prävention achten und sich auch mehr um das Entlassungsmanagement nach Spitalsaufenthalten kümmern.
Allerdings weiß man oft auch nicht, warum gewisse Ergebnisse vorliegen.
Wie schnell setzen sich die Erkenntnisse der Gendermedizin durch?
Für mich zu langsam. In der Forschung wurde in der Vergangenheit leider vieles verabsäumt. In vielen Studien zur Zulassung von Arzneimitteln wurden die Medikamente nur an Männern getestet. Daher muss man jetzt besonders darauf achten, dass genügend Frauen an Studien teilnehmen und die Geschlechter bei den Auswertungen getrennt betrachtet werden. Das alles passiert noch zu wenig und zu langsam. Frauen sind nach wie vor in klinischen Studien unterrepräsentiert. Die Genderforschung geht zwar gut voran, und es gibt immer mehr Daten und immer bessere Informationen. Aber es ist ein langwieriger Prozess, bis sich die Erkenntnisse dann auch in Leitlinien oder in Praxisempfehlungen niederschlagen.
Text: Jacqueline Kacetl | Fotos: iStock_Fresh_Splash, _Garik_Prost, feel image-Fotografie_Felicitas Matern, Herbert Baumgartner Fotostudio
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