Generation t(aub)?
In Österreich sind rund 1,5 Millionen Menschen schwerhörig. Die Hälfte davon ist unter 65. Besonders bei Jungen steigen Hörschäden rasant an – infolge ihres lauten Lebensstils.
„Alles über 85 Dezibel, regelmäßig oder über einen längeren Zeitraum, ist ein Problem, weil es Hörschwellenveränderungen nach sich ziehen kann. Diese Gefahr ist vielen jungen Menschen leider nicht bewusst“, sagt Prof. Dr. Christoph Arnoldner, stellvertretender Leiter der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten der Medizinischen Universität Wien. „Für Hörschäden gibt es keine Therapie. Ist das Gehör einmal zerstört, kann es nicht so leicht wieder ersetzt werden.“ Schwerhörigkeit – „nur“ eine Krankheit von älteren Menschen? Leider nein, diagnostiziert die Weltgesundheitsorganisation (WHO): Sie ist längst zum massiven Problem der Jugend geworden. Rund 1,1 Milliarden junge Menschen riskieren weltweit Schäden, weil sie zu oft zu laute Musik hören, sagt Arnoldner: „Von einem Hörschaden spricht man, wenn die Hörschwelle bei 20 bis 30 Dezibel liegt, wenn man also einem leisen Gespräch nicht mehr folgen kann.“
Kettensäge im Ohr
Ein Grund für Hörprobleme bei jungen Menschen ist der ständige Freizeitlärm – für viele geht ohne Dauerbeschallung nichts mehr. Denn Musik, die über Kopfhörer gehört wird, erreicht oft Spitzen bis 110 Dezibel – und ist damit so laut wie eine Kettensäge. Hört man Musik mit einer Lautstärke von rund 105 Dezibel, liegt das maximal verträgliche Pensum bei gerade mal 18 Minuten pro Woche. Jugendliche konsumieren oft ein Vielfaches davon. Auch stundenlange, laute Videokonferenzen mit dem Headset auf dem Kopf können das Gehör in Mitleidenschaft ziehen: Zunächst werden die äußeren Haarzellen im Ohr geschädigt, später trifft es auch die inneren. Die feinen Härchen knicken wie Streichhölzer und sterben ab. Dadurch wird das Hörerlebnis dumpf – es wird schwierig, andere zu verstehen. Ohne rechtzeitige Therapie folgt die Taubheit. Häufig tritt anfangs auch ein Tinnitus auf, sogenanntes Ohrensausen. Zwar gibt es sowohl für Tinnitus als auch für leichte Hörminderungen Behandlungsmöglichkeiten, gänzlich heilbar sind beide Beschwerden jedoch nicht. Arnoldner: „Wenn das Rauschen im Ohr, durch das sich alles wie in Watte gepackt anhört, länger andauert, können dauerhafte Hörschäden entstehen. Erst sind es die hohen Töne, die verloren gehen, dann die mittleren Frequenzen und schließlich die tiefen. Dann ist es kaum mehr möglich, einem Gespräch zu folgen, besonders in lauter Umgebung.“ Ein vermeidbares Schicksal.
Gerade in der Covid-19-Pandemie wurde deutlich, wie essenziell ein funktionierendes Gehör ist.
Hören Sie auf Ihre Ohren! GESUND & LEBEN hat die wichtigsten Do’s und Dont’s für ein gesundes Gehör.
Wellness für die Ohren
Leiser Musik hören: weniger als 60 Minuten bei maximal 60 Dezibel.
Bei lauten Konzerten oder in Clubs Ohrstöpsel verwenden, die das Gehör schützen.
Hörgeräte schon bei ersten Hörproblemen verwenden, damit sich das Gehirn nicht an den Hörverlust gewöhnt.
Einen gesunden Lebensstil pflegen: ohne Bluthochdruck, ohne hohes Cholesterin und ohne erhöhten Zucker – alles, was den Gefäßen guttut, ist auch gut für die Ohren.
Regelmäßig Sport treiben und auf eine nährstoffreiche, gesunde Ernährung mit vielen Vitaminen achten (B, C, E und Beta-Karotin sowie Eisen und Omega-3-Fettsäuren, die die Nervenzellen und die Nervenleitung zum Gehirn stärken).
Stress pur fürs Gehör
Laut Musik hören: über 85 Dezibel, regelmäßig und über einen längeren Zeitraum.
Wattestäbchen sind für die Ohrenpflege ein No-Go. Denn diese schieben das Ohrenschmalz nur weiter in den Gehörgang. Wer diesbezüglich ein Problem hat, sollte sich seine Ohren regelmäßig bei einer HNO-Ärztin oder einem HNO-Arzt aussaugen lassen.
Eine unausgewogene Ernährung mit zu viel Zucker, Alkohol und Koffein kann die Blutgefäße im Innenohr verengen und somit zu einer Unterversorgung führen. Diese schränkt dann auch die Hörfunktion ein.
Text: Karin Lehner | Foto: istockphoto/Phoenixns
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