Armut kostet Lebensjahre

Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist klar: Arm zu sein, ist ungesund. Warum aber ist das so? Welche Auswege gibt es, damit körperliche und psychische Gesundheit kein Luxusgut wird?

Sag mir, wo du wohnst, und ich sag dir, wann du stirbst.“ Eine auf den ersten Blick harte Aussage, die jedoch auf ebenso harten Fakten beruht. Denn Personen, die manifest arm sind, sterben mitunter um mehr als zehn Jahre früher als der Rest der Bevölkerung. 2021 galten rund 289.000 Österreicherinnen und Österreicher als manifest arm und litten somit nicht nur temporär, sondern über einen längeren Zeitraum unter einem sehr geringen Einkommen bei gleichzeitig schlechten, ausgrenzenden Lebensbedingungen. Bedenkt man, dass die Zahl der Betroffenen in etwa der Bevölkerung von Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, entspricht, wird klar: Hier handelt es sich nicht um ein gesellschaftliches Randproblem. Zumal davon ausgegangen werden muss, dass sich die Situation nach Auslaufen der Corona-Hilfsmaßnahmen und aufgrund der aktuellen Teuerung verschlimmern wird.

Armut macht krank

Dass Armut nicht nur mit der Lebenserwartung, sondern auch mit der Gesundheit negativ korreliert, kann laut Mag. Martin Schenk, Psychologe und Sozialexperte der Diakonie sowie Mitbegründer der Armutskonferenz, auf vier Dimensionen zurückgeführt werden: „Erstens sind objektive Belastungen wie etwa Beruf oder Wohnsituation zu nennen. So hat ein Bauarbeiter beispielsweise oft Probleme mit dem Bewegungsapparat. Menschen, die in feuchten, schimmligen Wohnungen leben, bekommen über kurz oder lang Atemwegsbeschwerden.“
Als zweite Dimension gelten fehlende Ressourcen, um Belastungen bewältigen zu können. Unter anderem verfügen arme Menschen über schwächere soziale Netzwerke, haben seltener die Möglichkeit, sich Pausen leisten zu können und Stress abzubauen. Überdies sind Bildungsmöglichkeiten, Mitbestimmung und Anerkennung geringer. All diese Dinge führen schlussendlich zu einer niedrigeren Resilienz.
Die letzten beiden Dimensionen sind die ungleiche Gesundheitsversorgung und der Lebensstil, der sich bei armen Personen meist als wesentlich ungesünder darstellt – Stichwort Ernährung und Bildung.
Im Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung stellen mangelnde Therapieplätze ein massives Problem dar – insbesondere jene, die im psychotherapeutischen Bereich fehlen, da nämlich Depressionen als „klassische Armutskrankheit“ gelten, wie Schenk erklärt: „Die Betroffenen befinden sich meist in einem Teufelskreis, ausgelöst durch Distress. Dieser negative Stress führt zu einer vermehrten Ausschüttung von Cortisol, was wiederum körperliche Auswirkungen hat, wenn dies über einen längeren Zeitraum geschieht. Die Folgen sind zum Beispiel Bluthochdruck oder eine verringerte Immunabwehr.“ Der US-amerikanische Psychologe Martin Seligman spricht in dem Zusammenhang von erlernter Hilflosigkeit, da die Menschen aufgrund negativer Erfahrungen die Überzeugung entwickeln, ihre eigene Lebenssituation nicht (mehr) ändern zu können und zugleich selbst für den Zustand verantwortlich zu sein. Aus dieser Spirale kommt man ohne professionelle Hilfe meist nicht heraus. Mangelt es jedoch am psychotherapeutischen Angebot – noch dazu, weil man schlichtweg nicht über die finanziellen Mittel verfügt –, gleiten die Betroffenen unweigerlich noch tiefer in die Depressionsspirale hinab.

Mag. Martin Schenk, Psychologe und Sozialexperte der Diakonie sowie Mitbegründer der Armutskonferenz

 

„Die Betroffenen befinden sich meist in einem Teufelskreis, ausgelöst durch Distress. Dieser negative Stress führt zu einer vermehrten Ausschüttung von Cortisol, was wiederum körperliche Auswirkungen hat.“


Text: Christiane Mähr | Fotos: Luiza Puiu-; istockfilo_ B4LLS
Mehr zum Thema „Armut kostet Lebensjahre” erfahren Sie in GESUND & LEBEN 07+08/22.

Zurück
Zurück

Sonne auf unserer Haut

Weiter
Weiter

Guter Sommer, böser Sommer