Die Wunderwelt der Pilze

Sie sind hervorragend vernetzt, großartige Teamplayer und essenziell für den Erhalt unseres Ökosystems. Pilze enthalten aber auch viele gesunde Inhaltsstoffe und gelten als vielversprechende Quelle für medizinische Wirkstoffe. GESUND & LEBEN über die fantastischen Fungi und warum sie für Mensch und Natur unentbehrlich sind.

Wie viele Pilzarten es tatsächlich auf Erden gibt, darüber gehen die Schätzungen unter Mykologen – so der Name für Pilzexperten – auseinander. Es dürfte aber in die Millionen gehen, wissenschaftlich beschrieben sind derzeit rund 100.000 Arten. Sicher ist: Der Großteil der Pilzwelt bleibt dem menschlichen Auge verborgen, denn nur rund ein Zehntel, die sogenannten Großpilze, besitzt einen Fruchtkörper mit Hut und Stiel. „Die Welt der Pilze spielt sich hauptsächlich im Verborgenen ab“, erläutert Gernot Friebes. „Denn der eigentliche Pilz besteht aus einem Geflecht aus fadenförmigen Zellen, das sich im Untergrund verbirgt“, so der Pilzexperte vom Joanneum in Graz. Egal ob Wüste oder Meer, Süß- oder Salzwasser, alpine Region oder Wald: Pilze sind überall um uns und sie besiedelten die Erde vermutlich bereits vor rund 800 Millionen Jahren.  Das legt ein Pilzfossilienfund aus Afrika nahe. Vermutlich waren Pilze damit wichtige Partner für die ersten Landpflanzen auf Erden.

Gernot Friebes, Pilzexperte, Kurator Botanik – Mykologie; Joanneum Graz.

 

„Die Welt der Pilze spielt sich hauptsächlich im Verborgenen ab. Denn der eigentliche Pilz besteht aus einem Geflecht aus fadenförmigen Zellen, das sich im Untergrund verbirgt.“

Wood Wide Web

Eine Aufgabe, die sie bis heute erfüllen. „Ihre Funktion für unser Ökosystem ist gewaltig“, wie Friebes erläutert. „In den Wäldern verweben sie sich zum Beispiel mit Baumwurzeln zu sogenannten Mykorrhiza-Netzwerken.“ Durch diese oft auch als „Wood Wide Web“ genannte Symbiose profitierten beide Beteiligten, so Friebes: „Die Pilze versorgen die Bäume mit Nährstoffen und Wasser aus der Erde, nehmen den von den Bäumen gespeicherten Kohlenstoff auf und speichern ihn wiederum in der Erde ab. Die Bäume geben dafür Zucker, der bei der Photosynthese entsteht, an die Pilze ab.“ Auch als meisterhafte Zersetzer kommen Pilze zum Einsatz, denn sie können als Stoffwechselspezialisten fast alles abbauen - von Holz, über Gestein bis zu Plastik. „Selbst parasitäre Pilze sind unverzichtbar, denn sie befallen geschwächte Bäume und sorgen dafür, dass Platz für Jungwuchs entsteht“, so der Experte. Auch der Gehalt an Kohlenstoff und Sauerstoff in der Atmosphäre hängt davon ab, wie rege sich Pflanzen und Pilze austauschen – und damit unser weltweites Klima.

Waffe gegen multiresistente Erreger

Pilze halten jedoch nicht nur das weltweite Ökosystem in Balance, sondern bieten auch für den menschlichen Organismus zahlreiche Vorteile. Denn Pilze sind nicht nur schmackhaft, sondern auch gesund: Sie sind eine gute Proteinquelle, liefern zahlreiche Mineralstoffe und Spurenelemente wie Kalzium, Magnesium, Zink und Selen sowie Vitamine und haben kaum Kalorien. Doch Fungi, so der wissenschaftlich korrekte Begriff, sind auch wahre Wirkstoffproduzenten. Einem Pilz verdanken wir beispielsweise das erste Antibiotikum: 1928 fand der Mikrobiologe Alexander Fleming durch Zufall heraus, dass Pilze Bakterien den Garaus machen können. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub stellte der Schotte nämlich fest, dass sich ein Schimmelpilz in einer Petrischale breitgemacht und alle umliegenden Bakterien abgetötet hatte. Fleming stellte verschiedene Extrakte aus dem Pilz, dem Penicillium notatum, her und benannte den antibakteriellen Wirkstoff Penicillin. Zehn Jahre später gelang es den beiden Forschern Howard Walter Florey und Ernst Boris Chain erstmals, diesen isoliert im Labor zu produzieren und der Siegeszug des Antibiotikums begann. In vielen Laboren weltweit, wie etwa im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, wird fieberhaft nach neuen antibakteriellen Wirkstoffen in Pilzen gesucht, die dafür eine gute Quelle zu sein scheinen. Verantwortlich dafür sind die sogenannten sekundären Metaboliten – chemische Stoffe, die von Pflanzen, Bakterien und Pilzen produziert werden, für deren Wachstum und Überleben aber nicht notwendig zu sein scheinen. So wurden beispielsweise auch Cephalosporine entdeckt, eine Gruppe von Breitband-Antibiotika, die bakterizid wirkt, also den Neuaufbau von Zellwänden bei sich teilenden Bakterien hemmen. Fieberhaft wird nach weiteren Wirkstoffen mit neuartiger antibakterieller Wirksamkeit geforscht, um wirksame Waffen gegen Antibiotikaresistenzen zu schaffen.

 

5 Fakten, die Sie über Pilze wissen sollten

  1. KORREKTE BEZEICHNUNG: FUNGI

    Pilze sind keine Pflanzen, da sie keine Photosynthese betreiben und ihre Energie nicht über das Sonnenlicht beziehen können. Sie müssen fressen – wie Tiere. Anders als diese nehmen sie ihre Nährstoffe jedoch in gelöster Form aus der Umgebung auf.

  2. GIGANT

    Das größte bekannte Lebewesen der Erde ist ein Pilz. Der geschätzt 2400 Jahre alte Fungus wurde im Nationalforst des US-Staates Oregon entdeckt. Sein unter der Erde befindliches Geflecht aus Pilzzellen – das Mycel – soll so groß wie 1.200 Fußballfelder sein.

  3. SCHADSTOFFBELASTUNG

    Pilze nehmen Elemente aus der Umgebung auf – leider auch Schadstoffe und Schwermetalle. Ein Grund dafür, warum das Schwammerlsuchen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl zum Erliegen kam. „Aber der Cäsiumgehalt in Pilzen sinkt von Jahr zu Jahr und ist bei einer normalen Verzehrmenge nicht mehr bedenklich“, beruhigt Pilzexperte Friebes. Die Empfehlung der WHO: nicht mehr als 250 Gramm Wildpilze pro Woche.

  4. KEIN PLASTIK

    Pilze immer in luftigen Gefäßen wie einem Korb transportieren, rät Gernot Friebes: „Im Plastiksackerl verderben Pilze aufgrund der Eiweißzersetzung sehr schnell und es kann zu sogenannten unechten Pilzvergiftungen kommen.“

  5. IMMER IN

    Auch wenn sich die Hauptsaison für Pilze bereits dem Ende zuneigt, finden kann man sie das ganze Jahr, so der Pilzexperte: „Im Winter gibt es zum Beispiel die Austernseitlinge, im Frühjahr empfehle ich den Genuss von Morcheln!“


Text: Claudia Sebunk | Fotos: iStock_ umaimon; M Friebes
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