Geistige Fitness bis ins hohe Alter ist keine Frage guter Gene, sondern des Lebensstils. Wie kann das gelingen? Welche Übungen gibt es?

Sportlerinnen und Sportler kennen die Enttäuschung nach Trainingspausen: Wird ein Muskel längere Zeit nicht beansprucht, baut er ab und schrumpft. Laut Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Wien, verhält es sich mit unserem Gehirn genauso: „Im Alter wollen wir alle fit wie ein Turnschuh sein. Leider wissen manche dann aber nicht mehr, was ein Turnschuh ist.“ 

Im Laufe der Jahre komme es auch im Gehirn zu Abnützungserscheinungen. Oder aber zu Fehlschaltungen – aufgrund neurologischer Erkrankungen wie Demenz, Schlag­anfällen oder Parkinson. Doch das müsse nicht sein: „Die erbliche Komponente für diese Krankheitsbilder macht nur einen kleinen Teil des Risikos aus. Den größten Teil bestimmen das Alter und vor allem der Lebensstil. Und letzteren können wir positiv beeinflussen.“ Mit dem richtigen Lifestyle und einfachen Übungen könne jeder kognitive Reserven aufbauen und gezielt vorsorgen. Genau wie beim Laufen benötige auch das Gehirn regelmäßiges Jogging: „Körper und Geist bilden eine Einheit.“

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Leiter Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien

 

„Besonders ab 50 Jahren ist es sinnvoll, etwas Neues zu beginnen.“

Halten Sie sich fit!

Körperliche Fitness verringert das Risiko für Schlaganfälle, Demenz und Alzheimer. Gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung und guter Schlaf seien also die Basis für lebenslange Gehirngesundheit, betont Berger: „Das Risiko für Demenz, Alzheimer und Schlaganfälle lässt sich damit um 30 Prozent reduzieren – lebenslang.“

Bei einem Schlaganfall komme es im Gehirn zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff – die Zellen sterben binnen weniger Sekunden ab: „Der Mensch ist kein Regenwurm. Wenn im Gehirn Gewebe abstirbt oder entfernt wird, sei es durch einen Schlag­anfall, ein Schädel-Hirn-Trauma oder als Folge einer OP, wächst leider nichts nach.“ Durch die Koexistenz der rechten und linken Gehirnhälfte würden sich auf Zellebene aber neue Netzwerke bilden können: „Hier übernehmen andere Regionen die Funktionen.“ Auch nach einer Infektion mit Covid-19 komme es bei vielen Erkrankten zu neurologischen Symptomen: Geruchs- und Geschmacksverlust, Brain Fog (= Gehirnnebel), chronische Erschöpfung und Einschränkung der motorischen Leistung. Berger verweist auf die neurologische Post-Covid-Ambulanz an seiner Abteilung und beruhigt: „Diese Folgeerscheinungen bilden sich bei 80 Prozent aller Menschen binnen einiger Wochen oder Monate wieder von allein zurück. Und: Die Covid-19-Impfung schützt viele vor solchen Langzeitfolgen.“


Neugier als Gehirntraining

Sein wichtigster Tipp für geistige Fitness bis ins hohe Alter lautet: neugierig bleiben. „Soziale Interaktion, die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden und auch konstruktive Streitgespräche unterstützen die intellektuelle Fitness, weil sie das Gehirn auf Trab halten“, erklärt Berger. Jede Art von lebenslangem Lernen unterstütze die Hirngesundheit: das Studium von Fremdsprachen, Gedichte lernen, lesen oder Rätsel lösen – je nach persönlichen Vorlieben. Auch in Bewegung bleiben ist Wellness – für den Körper wie Kopf. Berger verweist auf das Tanzen: „Musik, Rhythmus und Tanzschritte müssen im Gehirn ver- und erarbeitet werden. Beim Paartanz werden außerdem gemeinsame motorische und soziale Fähigkeiten geübt.“ Ähnliches gelte für Musik: „Beim Musizieren wie Musikhören läuft unser Gehirn auf Hochtouren, weil es Reize hören, erkennen und richtig einordnen muss.“ 

Die Ausrede, zu alt zu sein, um etwas Neues zu erlernen, gilt für den Neurologen nicht: „Besonders ab 50 Jahren ist es sinnvoll, etwas Neues zu beginnen. Wenn sich Großmütter mit dem Smartphone beschäftigen, lernen sie nicht nur die digitale Welt kennen, sondern tun auch etwas für ihr Gehirn. Aller Anfang ist Neugier.“ Die schlechte Nachrede des digitalen Begleiters ist für Berger unverständlich: „Aus neurologischer Sicht führt der Gebrauch nicht zu kognitiven Einschränkungen. Die heutige Jugend bedient das Smartphone beispielsweise mit zwei Daumen. Das kann ich nicht – für mich wäre das ein Lernprozess. Dabei werden verschiedene Bereiche des Gehirns aktiviert.“


Wundermuskel 

Das menschliche Gehirn besteht zu 80 bis 90 Prozent aus Wasser. Der Rest ist Fett. Es verfügt über mehr als 100 Milliarden Nervenzellen und Nervenbahnen mit einer Länge von 5,8 Millionen Kilometern. Es hat den höchsten Energieverbrauch im Körper und macht zwei Prozent unseres Körpergewichts aus. Damit das Gehirn dauerhaft rund läuft, benötigt es regelmäßige Pausen, betont Berger: „Es kann Multitasking. Doch wenn die Maschine auf Dauer im Vollgasmodus läuft, überhitzt sie. Wir brauchen Abkühlungsphasen.“ Beispielsweise in Form von Freizeit­aktivitäten, Urlaub oder Schlaf: „Erst in Ruhephasen ordnet unser Gehirn die Erlebnisse und Erfahrungen aus dem Alltag ein – und legt sie von der ersten sozusagen in die fünfte Schublade.“ Und das bei reduzierter Gehirnaktivität. Lernen mit dem Buch unter dem Polster sei daher leider eine Wunschvorstellung. 

Realität sind hingegen Prothesen, die von Gedanken oder den Augen gesteuert werden – von Menschen mit einem Locked-in-Syndrom, Gehörlösen oder Gelähmten. „Dafür werden über Brain-Computer-Interfaces Gehirnaktivitäten gemessen und mittels Deep Learning in Bewegung, Sprache oder Bilder umgewandelt.“ In Zukunft wird noch viel mehr möglich sein, davon ist Berger überzeugt: „Die Vorgänge im Hirn sind sehr komplex. Wir beginnen gerade erst, diese Details besser zu verstehen.“ 

 

7 Tipps: Trainieren Sie Ihr Gehirn!

  1. Neugierig bleiben: Ein Treffen mit Freundinnen und Freunden, aber auch die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden und sogar konstruktive Streitgespräche unterstützen die geistige Fitness.

  2.  Lebenslang lernen: Fremdsprachen studieren, Gedichte lernen, lesen oder Sudokus lösen – je nach persönlichen Vorlieben. Es ist nie zu spät, etwas Neues zu beginnen.

  3.  In Bewegung bleiben: Egal ob Jogging, Tanzen, Gartenarbeit, Heimwerken oder Walken – Bewegung trainiert nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn.

  4.  Auf Hochtouren läuft das Gehirn auch beim Musizieren oder Musikhören: Es hört Reize, muss sie erkennen und richtig einordnen. 

  5.  Auch Kochen ist Training für den Kopf: Zubereitungs- und Garzeiten müssen auf die Minute genau koordiniert sein, wenn alles gleichzeitig und warm serviert werden soll. Je mehr Gänge ein Menü hat, desto größer die Herausforderung. Und: Wer neue Gerichte mit bisher unbekannten Zutaten und Aromen ausprobiert, regt die Bildung neuer Sinneseindrücke an – es entstehen Synapsen, die für Gedächtnis­-leistungen unerlässlich sind.

  6.  Auch ältere Menschen sollten sich mit digitalen Tools wie dem Smartphone oder Tablet beschäftigen – ein gutes Gehirntraining.

  7.  Brain Food ist mehr als ein Schlagwort: 

    • Täglich mindestens eineinhalb Liter Wasser trinken. 

    • Gesunde, mehrfach ungesättigte Fette bevorzugen: durch den Genuss von Lachs, Mandeln, Nüssen, Raps- und Leinöl.

    • Komplexe Kohlenhydrate statt schneller Zucker: Schokolade und Süßes sorgen zwar für einen kurzfristigen Zuckerschub, lassen aber den Blutzuckerspiegel schnell wieder in den Keller sinken. Nach der Energie- kommt die Müdigkeitsphase mit der Konzentrationsschwäche. Das Gehirn braucht aber eine stetige Zufuhr seines wichtigsten Energielieferanten: Traubenzucker (Glucose). Vollkornbrot, Hülsenfrüchte und Kartoffeln enthalten komplexe Kohlenhydrate, die vom Körper langsam in ihre kleinsten Bestandteile und schließlich in Zucker abgebaut werden. Auch Obst- und Gemüsesorten können sich günstig auf die Denkleistung auswirken. Trockenfrüchte und Nüsse sind ein guter Snack für zwischendurch.

    • Ausreichend Eiweiß essen: fettarme Milchprodukte wie Joghurt, Frischmilch oder Topfen. Oder Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen und Erbsen. Um neue Informationen oder Eindrücke zu speichern, braucht das Gehirn Proteine und deren Bausteine, die Aminosäuren. Sie dienen als Baumaterial für Botenstoffe im Gehirn. Diese sind nötig, damit Informationen im Nervensystem schnell weitervermittelt und abgerufen werden können.


Text: Karin Lehner | Foto: ÖGN, istockphoto/ Martin Prescott

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