Reizendes Bauchgefühl

Bauchkrämpfe, Blähbauch, Durchfall oder Verstopfung: Viele Menschen leiden an einer funktionellen Magen-Darm-Erkrankung, die mehrheitliche Diagnose lautet Reizdarm. Doch mit einer speziellen Diät und Stressabbau lässt sich das Wohlbefinden steigern. GESUND & LEBEN erklärt die Hintergründe.

Reizdarm ist nichts, was die Lebens­erwartung senkt, das Leben aber massiv erschwert“, sagt  Dr.  Elisabeth Schartner, Spezialistin auf den Gebieten der Inneren Medizin, Psychosomatik und Hypnose in Wien. Viele Betroffene klagen über derart elende Bauch- und Unterleibsschmerzen, dass diese sie zwingen, sich aus dem Sozialleben zurückzuziehen und die sogar zur Arbeitsunfähigkeit führen können. Plötzlich auftretender Durchfall lässt Businessmeetings platzen oder beendet abrupt romantische Verabredungen. Unangenehme Verstopfung kratzt an der guten Laune. „Die Beschwerden gehen so weit, dass manche Menschen regelrecht Angst haben, das Haus zu verlassen. Stress, der die Symptome weiter verschlimmert. Ein Teufelskreis entsteht“, so Schartner. Sie betont, dass „Reizdarm“ eine Ausschlussdiagnose ist. Laienhaft formuliert: Wenn man nichts anderes findet, handelt es sich vermeintlich um Reizdarm.
Vorab müssen jedoch Krankheiten ausgeschlossen werden; beispielsweise Krebs, entzündliche Darmleiden wie Morbus Crohn, Bauchspeicheldrüsenschwäche oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. „Normalerweise zeigen sich mir aber bereits nach einem ausführlichen Gespräch und einer Blutabnahme starke Hinweise, ob es sich um einen Reizdarm handelt oder nicht. Was zum Beispiel dagegen spricht, sind nächtlicher Stuhlgang, Blut im Stuhl oder wässrige Durchfälle“, erklärt die Fachärztin. Dafür sprechen würde hingegen, dass sich die Beschwerden in Stresssituationen oder bei Veränderungen im alltäglichen Leben akut verschlimmern und in Entspannungsphasen – wenigstens geringfügig – abnehmen. „Oft klagen Betroffene über Blähbauch oder Bauchschmerzen bereits Minuten nach dem Essen. So schnell reagiert üblicherweise kein Körper aufgrund von Lebensmittelunverträglichkeiten. Oft ist lediglich ein voller Bauch und ein falscher Reflex an den Beschwerden schuld“, stellt Schartner klar.

 

„Die Beschwerden gehen so weit, dass manche Menschen regelrecht Angst haben, das Haus zu verlassen. Stress, der die Symptome weiter verschlimmert. Ein Teufelskreis entsteht.“

 

Die richtige Atemtechnik erlernen

Bei Gesunden bewegt sich das Zwerchfell bei Zunahme des Bauchinhalts reflexartig in die Höhe, um für die aufgenommenen Speisen Platz zu schaffen. Gleichzeitig spannt sich die Bauchmuskulatur an, sodass sich der Bauch nicht nach außen wölbt.  Bei vielen Reizdarmbetroffenen ist es umgekehrt. Das Zwerchfell geht nach unten, der Bauch nach vorne, weiß  Schartner: „Aus unklaren Gründen kommt es zu einem fehlerhaften Zusammenspiel zwischen Zwerchfell und Bauchdeckenmuskulatur. Das Erlernen einer gesunden Atemtechnik ist oft schon die Therapie.“ Klingt simpel. Aber Betroffene durchwandern häufig viele verschiedene Arztpraxen und erdulden unangenehme Untersuchungen, die keine oder nur vage Ergebnisse liefern. Zurück bleiben ein großes Fragezeichen und viel Unsicherheit.


Ursachen im Labor gefunden

Doch wie kann es sein, dass die Beschwerden bleiben, obwohl nichts Greifbares gefunden wird? Alles nur Einbildung? Elisabeth Schartner kennt die Antwort: „Forschungsexperimente zeigen und beweisen durchaus Gründe für einen Reizdarm. In wissenschaftlichen Untersuchungen kann man oftmals winzig kleine Entzündungszeichen im Darm erkennen oder geringfügige Abweichungen in der Zusammensetzung der Darmflora.“ Die herkömmlichen Laboruntersuchungen gehen jedoch nicht derart in die Tiefe, wie dies in der Wissenschaft passiert. Auch das sogenannte „Leaky Gut Syndrom“, auf Deutsch „undichter Darm“, kann eine Ursache für Reizdarm sein, ist aber ebenfalls schwer zu diagnostizieren. In diesem Fall zeigt sich die Darmwand geringfügig porös und lässt Stoffe in den umliegenden Körper frei, die dort nichts verloren haben. Das Immunsystem beginnt falsch zu handeln und es kommt zu Entzündungsreaktionen, die sich etwa in Schmerzen oder Durchfall äußern.


Keine Behandlung nach „Schema F“

Eine generell übliche Behandlungsform nach Anleitung gibt es bei Reizdarm nicht. „Es handelt sich hierbei ja nicht um eine Waschmaschine, wo ich ein Teil austausche oder repariere. Je nach Leidensgeschichte erhalte ich unterschiedliche Puzzleteilchen, die ich versuchen muss entsprechend zusammenzusetzen“, veranschaulicht die Medizinerin. Ein großes Puzzleteil ist die Ernährung. Daher ist der Gang zur Diätologin, zum Diätologen unabdingbar. „Einige Betroffene trauen sich fast gar nichts mehr zu essen, weil sie denken, dass sie es möglicherweise nicht vertragen könnten“, so die Ärztin. Es gibt Betroffene, die sogar weniger als zehn verschiedene Lebensmittel essen – und sich damit längst in einer Essstörung befinden. Schlecht aus dreierlei Gründen: Zum einen ist eine Unterversorgung an lebenswichtigen Nährstoffen die Folge. Zweitens schränken sich die Betroffenen gesellschaftlich noch weiter ein, da sie sich auswärts oft gar nichts zu essen getrauen und Verabredungen im Zweifelsfall ganz streichen. Zu guter Letzt wird das Mikrobiom des Darmes aufgrund der Mangelernährung massiv geschädigt.

Fütterung der Darmbakterien

Wie vielfach in GESUND & LEBEN schon berichtet, lebt unser Körper in Symbiose mit zahlreichen Mikroorganismen, die ihn dabei unterstützen, gesund zu bleiben. Die vermutlich wichtigsten Untermieter des menschlichen Organismus sind die Darmbakterien. Sie verlangen, dass sich ihr Wirt von ausreichend Gemüse, Blattsalat, Obst und Vollkornprodukten ernährt, denn Faserstoffe sind ihr Futter. Ist das Mikrobiom des Darmes aus dem Gleichgewicht, feuert das die Reizdarmsymp-tome noch weiter an. „In der Diätberatung baue ich darauf, dass eine individuelle Ernährungsform gefunden wird“, klärt Schartner auf. Vielversprechend zeigt sich die sogenannte FODMAP-Diät. FODMAP ist die englische Abkürzung für gärende Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole, das sind spezielle Zuckerarten und Zuckeralkohole. Genau jene werden vorübergehend gemieden.


Text: Lisa Strebinger | Fotos: iStock_martin-dm, amriphoto.com
Mehr zum Thema „Reizendes Bauchgefühl” erfahren Sie in GESUND & LEBEN 12/22.

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