Schatten auf der Seele
Nach fast drei Jahren Pandemie haben sich Beziehungen und Freundschaften verändert. Studien zeigen, dass wir in ein „psychotisches Zeitalter“ geschlittert sind.
Seit vielen Jahren verbindet Katharina und Uschi eine enge Freundschaft. Sie treffen sich zum Kaffee, verabreden sich für Kinoabende oder Konzerte und unternehmen gemeinsame Reisen. Dann kam die Pandemie. Aus den Treffen im Café wurden virtuelle Plaudereien, Konzerte und Kinos waren abgesagt, auch Reisen waren nicht mehr möglich. Für die unternehmenslustige Katharina war das eine große Umstellung. Hinzu kam die Angst, sich mit Covid zu infizieren und vulnerable Familienmitglieder zu gefährden. Sie hatte Zeit, um Innenschau zu betreiben. Zu viel Zeit, denn an Katharina ging die Pandemie nicht ohne Spuren vorbei. Auch heute noch hat sie Angst, ohne Maske außer Haus zu gehen und sich anzustecken. Sie zieht es vor, allein zuhause zu bleiben, wird immer einsamer und kippt in eine Depression.
Depressionen nehmen zu
Wie Katharina ergeht es vielen und die Daten zeigen: Depressionen sind im Steigen. Sie rangieren neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen an der Spitze der aktuell häufigsten Erkrankungen. Prim. Dr. Christian Wunsch ist Psychiater und leitet die Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin am Landesklinikum Neunkirchen. Angesichts dieser alarmierenden Zahlen relativiert der Mediziner: „Nicht jede Verstimmung ist gleich eine Depression, seelische Belastungen werden aber immer häufiger dokumentiert.“ Üblicherweise verfügt der Körper über Schutzfaktoren, die frühe Warnzeichen, wie beispielsweise Schlaflosigkeit, Antriebslosigkeit oder Schmerzen, eliminieren können. „Dass Depressionen gegenwärtig im Zunehmen sind, hat verschiedene Ursachen, wie etwa den Zerfall von Familien, verschärfte Umwelt- und Arbeitsbedingungen oder durch die sich derzeit ablösenden Krisen“, erklärt Wunsch. Doch was macht eine Depression eigentlich mit unserem Gehirn? „Im Zuge einer Depression werden im Körper und speziell in den Nerven durch den anhaltenden Stress enorme Energieressourcen verbraucht. Die Folge ist eine sukzessive Erschöpfung der neuronalen Botenstoffe – sogenannter Neurotransmitter. Somit wird die Übertragung reduziert“, so der Psychiater. Eine gezielte Therapie kann dazu beitragen, dass sich die neuronalen Verbindungen, also die Synapsen, wieder verbinden.
Text: Doris Simhofer | Fotos: iStock_solarseven, beigestellt
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