WUNDERvitamin
Das Sonnenvitamin ist der Star unter den Nahrungsergänzungsmitteln. Es verhilft zu starken Knochen, soll aber auch gegen Krebs, Demenz und Diabetes wirken. GESUND & LEBEN mit den Fakten.
Das kleine Fläschchen ziert den Frühstückstisch vieler Österreicherinnen und Österreicher. Der Genuss eines Weckerls mit Käse oder Marmelade wird täglich mit Tropfen einer fettigen durchsichtigen Substanz garniert: Vitamin D. Die Semmel schmeckt besser in der Hoffnung, dem eigenen Körper etwas Gutes zu tun. Doch entspricht das der Realität? Wer braucht wie viel Vitamin in welcher Lebenssituation? Und warum? Diese Fragen haben wir Dr. Jana Meixner gestellt. Sie hat an der Medizinischen Universität Wien studiert und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Donau-Universität Krems. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Projekt Medizin-Transparent.at – einem Portal, das Gesundheitsbehauptungen aus Medien, Werbung und dem Internet auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft: „Vitamin D wirkt wie ein Hormon, zählt aber zu den Vitaminen. Es ist essenziell für den Körper, dockt über Rezeptoren an alle Zellen des Immunsystems an und wirkt regulierend.“
„Für gesunde Menschen reicht es im Sommer normalerweise, Arme und Gesicht täglich 15 Minuten lang der Sonne auszusetzen.“
BLONDE & BLONDINEN BEVORZUGT
Unser Körper produziert Vitamin D selbst: bei UV-Licht über die Haut. „Für gesunde Menschen reicht es im Sommer normalerweise, Arme und Gesicht täglich 15 Minuten lang der Sonne auszusetzen“, erklärt Meixner. Dabei werden rund 200 internationale Einheiten gebildet. Tagesdosis liegt allerdings bei 600. Man muss also entweder länger in die Sonne gehen oder aber substituieren. „Allerdings bestimmt der Hauttyp, wie viel Vitamin D produziert wird. Je dunkler der Teint, desto weniger.“ Auch über das Essen wird Vitamin D aufgenommen: „Über fette Meeresfische wie Lachs, Makrele und Hering.“ Laut Meixner leiden rund 40 Prozent aller Menschen an einem Vitamin-D-Mangel: „Die Grenzwerte – ein Serumwert von 20 Nanogramm pro Milliliter – sind aber vieldiskutiert und kommen aus der Knochengesundheit. Ob sie auch für andere Organe passen, ist wissenschaftlich umstritten.“ In der westlichen Welt ist ein schwerer Vitamin- D-Mangel bei gesunden Erwachsenen sehr selten. Häufiger tritt er nur bei älteren Menschen auf. Sie sind oft in ihrer Mobilität eingeschränkt und weniger in der Sonne.
WARNUNG VOR ÜBERDOSIERUNG
Eine generelle Substitution des Sonnenvitamins findet Meixner bedenklich: „Vitamin-D-Präparate sind nur bei einem nachgewiesenen Mangel sinnvoll – nach einem ärztlichen Blutbefund. Denn eine Überdosierung kann im schlimmsten Fall Nierensteine verursachen.“ Einigkeit besteht in der Wissenschaft hinsichtlich der Wirksamkeit von Vitamin D für den Knochenaufbau: „Wer in der Kindheit einen zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel hat, riskiert eine Rachitis. Denn Vitamin D ist für die Aufnahme von Kalzium wichtig. Daher ist es auch eine gute Vorsorge gegen Osteoporose“, so Meixner: „Außerdem korreliert ein Vitamin-D-Mangel in der Kindheit mit einem erhöhten Risiko für die Autoimmunerkrankung Diabetes Mellitus Typ 1.“
VITAMIN D GEGEN DEMENZ
Forscherinnen und Forscher der Universität of South Australia wollen mit dem Sonnenvitamin sogar Demenzfälle verhindern. Weltweit leiden mehr als 55 Millionen Menschen an der Erkrankung des Gehirns – jedes Jahr werden zehn Millionen neue Fälle diagnostiziert. Die Krankheit gilt als eine der häufigsten Todesursachen. Die Autorinnen und Autoren der Studie sind der Überzeugung: Eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D könne der Schlüssel sein, einen Großteil künftiger Demenzfälle zu verhindern. Auch Kolleginnen und Kollegen aus Großbritannien lesen aus Daten der UK-Biobank heraus, dass ein zu niedriger Vitamin-D-Spiegel mit einem geringeren Gehirnvolumen und einem erhöhten Risiko für Demenz und Schlaganfälle verbunden ist. Auch in punkto Schizophrenie gibt es erste wissenschaftliche Erkenntnisse. Kinder von Müttern mit einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel könnten vielleicht ein erhöhtes Risiko haben, daran zu erkranken.
Text: Karin Lehner | Fotos: ISTOCK_JEFF BERGEN, DONAU-UNIVERSITÄT KREMS
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