Von 100 auf Null
Ein paar Überstunden gehen schon, das bisschen Arbeit am Wochenende ist auch okay, dafür wird das Treffen mit Freunden abgesagt. Wenige wollen es wahrhaben: Der Weg ins Burnout verläuft nach diesem Muster.
Verena war erfolgreiche PR-Expertin, immer erreichbar, inmitten von erfolgreichen Menschen, ein Leben zwischen Bar und Party. „Ich brauchte unbedingt Anerkennung von außen, weil ich ein schlechtes Selbstwertgefühl hatte. Außerdem war ich Meisterin der Verdrängung, kannte keine Grenzen, weder im Beruf noch im Privaten. Die Rückenschmerzen, die sich langsam einschlichen, behandelte ich mit Alkoholkonsum. Solange, bis ich bewegungslos im Krankenhaus endete. Ich konnte nichts mehr allein machen.“ Der behandelnde Arzt diagnostizierte schließlich ein Burnout. Das war 2020. Was folgte, war für Verena nicht leicht: Alko-Reha, Burnout-Klinik und schwierige Zeiten, um all das zu verarbeiten. Heute ist Verena Titze (39) Autorin und Kabarettistin und hat ihren Schmerz künstlerisch verarbeitet: „Letztlich habe ich aber zu meiner Berufung gefunden.“ Mit Prof. Dr. Michael Musalek, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, betreibt sie einen Podcast. Musalek kennt Lebensgeschichten wie jene von Verena. Er ist Vorstand des Instituts für Sozialästhetik und Psychische Gesundheit der SFU Wien und ehemaliger Primarius und Ärztlicher Direktor des Anton-Proksch-Institutes. „Erst Covid, Kriege, dann Demokratie- und Wirtschaftskrisen – wir sind im permanenten Krisenmodus“, sagt er.
Verena Titze und Psychiater Michael Musalek betreiben gemeinsam einen Podcast.
Viele sind damit überfordert. „Die Reaktion auf eine Überforderung erfolgt regelhaft, zunächst sind wir leichter reizbar, besteht der Druck weiter, sind wir gereizt, das führt letztlich in eine Dysphorie. Darunter versteht man jene Form der Alltagsverstimmung, die dazu führt, dass man zum Beispiel bereits am Morgen nach dem Aufstehen missmutig ist.“ Wer überlastet ist, braucht adäquate Coping-Strategien, andernfalls leiden Betroffene körperlich und psychisch. In der Folge entstehen auch in der individuellen Umgebung neue Problemsituationen und diese machen weiteren Druck auf Betroffene. Einem Burnout liegen drei Zustände zugrunde: Erschöpfung, Entfremdung bzw. Depersonalisierung und Leistungsverlust. Diese Trias beschreibt bis heute die Kernsymptome. Das Tückische an Burnout ist, dass es schleichend auftritt, erklärt Musalek: „In Stadium I liegen noch keine Anzeichen einer Erkrankung vor, dennoch sind Betroffene bereits überfordert oder überlastet. Sie vergessen auf ihre eigenen Bedürfnisse, sind überhöht reizbar und angespannt, auch Appetitlosigkeit und sexuelle Probleme können auftreten.“
Strategien gegen Stress (nach Ute Arndorfer)
PAUSEN sind unverzichtbar, weil sie der Verarbeitung von Emotionen und Erfahrungen aus der „Leistungsphase“ dienen. Pausen dienen zur Reflexion, gehen Sie alles langsamer an.
HANDLUNGSFREIHEIT fehlt in vielen Unternehmen, auch das treibt den Stress in die Höhe. Wer Aufgaben auch auf eigene Weise lösen darf, fühlt sich selbstwirksamer und das Kohärenzgefühl kann wachsen.
WERTSCHÄTZUNG ist eine dauerhafte Haltung, anderen Respekt und Anerkennung entgegenzubringen. Ein Mensch, der sich geschätzt fühlt, wird immer mehr
leisten als erwartet.SELBSTMITGEFÜHL bedeutet, sich selbst in Freundlichkeit zu sehen, wohlwollend auf sich selbst zu schauen – auch das muss gelernt werden.
SELBSTFÜRSORGE ist ein Antagonist gegen Stress. Alles, was psychisches und physisches Wohlbefinden stärkt, stabilisiert den eigenen Selbstwert.
LEBENSKUNST heißt auch, trotz vieler Krisen ein schönes Leben zu führen. Es ist wichtig, dabei die Hoffnung und den Optimismus nicht zu verlieren.
Text: Doris Simhofer | Fotos: Dominik Geiger, beigestellt