Wenn Eltern alt werden

Was tun, wenn die Eltern pflegebedürftig werden? Das Wichtigste: sich frühzeitig informieren. GESUND & LEBEN hilft Ihnen mit Tipps aus der Praxis.

Fast eine Million Menschen in Österreich übernehmen die Pflege ihrer Angehörigen selbst.

Fast eine Million Menschen in Österreich übernehmen die Pflege ihrer Angehörigen selbst.

Rollenumkehr

Der Großteil der pflegebedürftigen Menschen sind Senioren – und Eltern. „Es tut weh, die eigenen Eltern alt werden zu sehen“, bringt es Dr. Gerald Gatterer, Klinischer Psychologe und Psychotherapeut und Leiter des Instituts für Alternsforschung der Sigmund Freud Privatuniversität, auf den Punkt. „Wir alle leben in bestimmten Rollen. Und diese Rollen definieren unser Verhalten und geben uns Sicherheit und Stabilität. Im Alterungsprozess verändern sich diese Rollen: Die alternde, gebrechliche Mutter rutscht leicht in die bedürftige, versorgungspflichtige Rolle des Kindes, was bei der jüngeren Generation Ängste, aber auch das Bedürfnis, die Mama zu beschützen, hervorruft.“ Die Tochter wird zur Mutter, die Mutter zur Tochter. Nun ist es am „Kind“, große Entscheidungen zu treffen, sich zu sorgen – und vor allem, die Zukunft zu planen.

Eine verkehrte Welt entsteht – und mit ihr meist eine Reihe an Problemen, mitunter lang vergrabene Konflikte, die nun wieder aufbrechen können. Denn leicht ist die neue

Situation für keine der beiden Seiten, betont Gatterer: „Alter ist ein Risikofaktor für depressive Erkrankungen, vor allem aufgrund des Rollen- und Funktionsverlusts. Das Aussteigen aus der Elternrolle bedeutet für Mama und/oder Papa das Abgeben von Verantwortung.

Pflegende Angehörige

Fast eine Million Menschen in Österreich übernehmen die häusliche Pflege ihrer Angehörigen selbst – womit diese Form der Pflege die häufigste hierzulande ist. Eine Aufgabe, die zwar Bedeutung und Sinn für den Pflegenden mit sich bringt, „generell aber geht die Pflege von Angehörigen mit einer sehr hohen physischen und psychischen Belastung einher“, gibt Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger, zu bedenken. Besonders Frauen, die nach wie vor den Löwenanteil der Pflege übernehmen, finden sich oft im Spannungsfeld zwischen Berufsleben, Familie, Partnerschaft und Pflege der Eltern wieder. Eine finanzielle Unterstützung ist freilich möglich, erklärt die Expertin, beispielsweise in Form einer Pensions- und Krankenversicherung oder des Pflegegeldes.

Pflegezentren

Ein Platz im Pflege-, Betreuungs- oder Förderzentrum ist nach der Pflege durch Angehörige die zweithäufigste Pflegeart in Österreich. In Niederösterreich sind unter dem Dach der NÖ Landesgesundheitsagentur die 27 Landes- und Universitätskliniken und die 50 Pflege-, Betreuungs- und Förderzentren vereint. Damit werden Gesundheit und Pflege aus einer Hand gedacht, geplant und gesteuert. Neben dem Einverständnis der pflegebedürftigen Person müssen auch die Aufnahmekriterien erfüllt werden: Ein Hauptwohnsitz in Niederösterreich, die österreichische Staatsbürgerschaft, die Vollendung des 60. Lebensjahres und der Bezug der Pflegegeldstufe 4. Über die Vergabe eines Pflegeplatzes, den Aufnahmeantrag und den Antrag auf Kostenübernahme durch die Sozialhilfe, entscheidet die für den Hauptwohnsitz zuständige Bezirksverwaltungsbehörde. Grundsätzlich muss jede Bewohnerin bzw. jeder Bewohner die Kosten für den Pflegeplatz selbst aufbringen (z. B. Rente, Pension, Pflegegeld etc.). Wenn aber das Einkommen für die vollen Kosten nicht ausreicht, dann hilft das Land NÖ als Sozialhilfeträger und übernimmt die restlichen Kosten.

Mobile Dienste

„Das Ziel der meisten alten Menschen ist es, so lange wie möglich zuhause wohnen zu bleiben und ihre Autonomie zu erhalten“, so Gatterer. Die Inanspruchnahme von sogenannten mobilen (oder ambulanten) Pflegediensten ist eine Möglichkeit, diesem Wunsch entgegenzukommen. „Im Grunde bedeutet eine mobile Pflege, dass ich für eine bestimmte Zeit pro Tag Unterstützung für die pflegebedürftige Person bekomme“, erklärt Birgit Meinhard-Schiebel. Geschultes Personal hilft beispielsweise beim An- und Auskleiden, bei der täglichen Hygiene, beim Einkauf oder/und der Haushaltsführung.

24-Stunden-Betreuung

Mit der Zeit kann eine stundenweise Betreuung nicht mehr ausreichen. Eine Möglichkeit ist, in solchen Fällen eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet, dass

eine geschulte Betreuungskraft bei der Familie einzieht und die Pflege übernimmt. Meist wechselt diese Kraft im 14-Tage-Rhythmus. Wichtig: Der Betreuungskraft ist es nicht erlaubt, Pflegetätigkeiten durchzuführen. Ist dies erforderlich, muss zusätzlich eine professionelle Pflegekraft bezahlt werden.

Betreutes Wohnen

Das Wohnkonzept des betreuten Wohnens erfreut sich seit einigen Jahren immer größerer Beliebtheit. Das Konzept: Der alte Mensch kann nach wie vor seinem gewohnten Alltag nachgehen, bei Bedarf stehen ihm aber qualifizierte Hilfeleistungen (zum Beispiel Notruftelefon, Essen auf Rädern, ambulante Pflegedienste) zur Verfügung. Die Wohnungen sind barrierefrei, zudem gibt es Gemeinschaftsräume, die die sozialen Kontakte fördern. Die Angebote für betreutes Wohnen variieren allerdings sehr stark, was Qualität und Art der Unterstützung anbelangt. Seien Sie sich bewusst, dass zusätzliche Hilfeleistungen nicht in den Mietkosten inkludiert sind.

Dr. Gerald Gatterer, Klinischer Psychologe und Psychotherapeut und Leiter des Instituts für Altersforschung der Sigmund Freud Privatuniversität

Dr. Gerald Gatterer,
Klinischer Psychologe und Psychotherapeut und Leiter des Instituts für Altersforschung der Sigmund Freud Privatuniversität

Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger

Birgit Meinhard-Schiebel,
Präsidentin der Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger


Text: Manuel Simbürger | Fotos: Haus der Barmherzigkeit/Roboter James
Mehr zum Thema „Wenn ELTERN alt werden“ erfahren Sie in GESUND & LEBEN 09/21.

Zurück
Zurück

Seele im Mittelpunkt

Weiter
Weiter

Wie Kinder Leseprofis werden